Die Vergessene Welt
maskenhaften Gesicht.
Dieses Gesicht hatte flammende Augen und verzerrte Züge
voll Haß und Hohn.
»Lord Roxton!« brüllte er. »Lord John Roxton!«
»Ja«, sagte dieser, »hier bin ich.«
Ein brüllendes Gelächter drang über den Abgrund zu uns.
»Ja, da bist du, du englischer Hund, und da sollst du auch
bleiben! Ich habe gewartet und gewartet. Jetzt endlich ist
meine Stunde gekommen. Es war schwer genug für euch, da
hinaufzuklettern; ihr werdet es aber noch schwerer haben,
wieder herunterzusteigen. Ihr verdammten Narren, jetzt sitzt
ihr in der Falle, ihr alle!«
Wir waren zu überrascht, um antworten zu können. Das
Gesicht verschwand, kam aber gleich wieder zum Vorschein.
»Wir hätten euch beinahe schon mit dem Stein bei der
Höhle erwischt«, schrie Gomez. »Aber so ist es noch viel besser.
Es geht langsamer und qualvoller. Eure Knochen werden da
oben ausbleichen, und kein Mensch wird wissen, wo ihr liegt.
Niemand wird kommen, euch zu begraben. Und wenn du im
Sterben liegst, Roxton, dann denk an Lopez, den du vor fünf
Jahren am Putomayo-Fluß erschossen hast. Ich bin sein
Bruder. Jetzt kann ich beruhigt sterben. Ich habe ihn gerächt.«
Hätte der Mischling es damit bewenden lassen und
schleunigst das Weite gesucht, so wäre alles gut abgelaufen für
ihn. Sein törichter, südländischer, unwiderstehlicher Hang
zum Dramatischen jedoch sollte ihm zum Verhängnis werden.
Roxton war nicht der Mann, den man ungestraft herausfordern
konnte. Der Mestize stieg auf der uns abgekehrten Seite der
Felsnadel ab. Aber ehe er den Boden erreichen konnte, war Lord
John am Rande des Plateaus entlanggelaufen und hatte eine
Stelle gefunden, von der aus er den Mann sehen konnte. Seine
Flinte krachte ein einziges Mal. Wir konnten zwar nichts sehen,
hörten aber den Schrei und darauf den fernen Aufschlag des
abstürzenden Körpers. Roxton kam mit steinernem Gesicht zu
uns zurück.
»Ich blinder Idiot«, sagte er. »Allein durch meine
Dummheit sind wir in diese Lage geraten. Ich hätte daran
denken müssen, daß diese Leute ein gutes Gedächtnis haben,
und hätte mehr auf der Hut sein müssen.«
»Und was ist mit den anderen? Einer allein kann doch
unmöglich diesen Baum über die Kante gerollt haben.«
»Ich hätte ihn auch töten können, habe ihn dann aber doch
laufen lassen. Vielleicht ist er unschuldig.«
Jetzt, da wir Gomez’ Motiv kannten, erinnerte sich jeder
von uns an Einzelheiten seines hinterhältig-zutraulichen
Benehmens – an seine ständigen Bemühungen, unsere Pläne zu
erfahren, und seine heimtückischen, haßerfüllten Blicke, die uns
jedesmal so erstaunt hatten. Wir sprachen darüber, bemüht, uns
seelisch auf die neuen Verhältnisse einzustellen, aber plötzlich
wurde unsere Aufmerksamkeit durch eine fast komisch
wirkende Szene in der Ebene unter uns gefesselt.
Ein Mann in weißer Kleidung, der nur der überlebende
Mestize sein konnte, rannte, als ob ihm der Tod im Nacken
säße. Hinter ihm her, wenige Meter zurück, in riesigen Sätzen
die ebenholzfarbene Gestalt Zambos, unseres treu ergebenen
Negers. Zambo sprang dem Flüchtling auf den Rücken und
schlang ihm die Arme um den Hals. Beide wälzten sich am
Boden. Einen Augenblick darauf erhob sich Zambo, ignorierte
den hingestreckten Mann, winkte uns fröhlich mit der Hand
und kam auf uns zugerannt. Die weiße Gestalt blieb
bewegungslos liegen.
Uns war jede Möglichkeit genommen, wieder zu der
Felsnadel zurückzukommen. Die Verräter waren vernichtet,
aber das Vermächtnis hatten sie uns hinterlassen. Wir waren
auf das Plateau verbannt. Einen Weg zurück gab es nicht.
Unter uns lag die Ebene, dahinter, jenseits des violetten,
dunstigen Horizonts, floß der Strom, der in die Zivilisation
zurückführte. Aber das Zwischenglied fehlte. Keine
menschliche Erfindungsgabe konnte ein Hilfsmittel ersinnen,
das den Abgrund überbrückte, der zwischen uns und unserer
heimischen Welt aufgebrochen war. Ein einziger Augenblick
hatte unsere gesamten Lebensbedingungen von Grund auf
verändert.
Dies war aber auch der Augenblick, in dem ich erfuhr, aus
welchem Holz meine drei Kameraden geschnitzt waren. Zwar
wurden sie ernst und nachdenklich, behielten aber ihre
ungebrochene Zuversicht. Gespannt warteten wir auf Zambos
Erscheinen. Bald tauchte sein ehrliches schwarzes Gesicht über
dem Felsen auf, und seine massige Gestalt schwang sich auf
die Spitze der Zinne.
»Was ich jetzt tun?« rief er.
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