Die Vergessene Welt
einem
Kongreß
in
Wien
hat
Challenger
den
Ausdruck
Weißmannismus geprägt und irgendwelche Streitereien vom
Zaun gebrochen.«
»Kannst du mir sagen, worum es genau gegangen ist?«
»Nicht aus dem Stegreif, aber es existiert ein Protokoll, das
sogar übersetzt ist. Wir haben es in unserem Archiv.
Interessiert es dich?«
»Allerdings. Ich muß den Knaben nämlich interviewen und
brauche einen Aufhänger. Wenn es nicht zu spät ist, könnten
wir doch vielleicht gleich in euer Archiv gehen.«
§
Eine halbe Stunde später saß ich in dem Archiv und hatte die
Unterlagen über den Wiener Zoologenkongreß vor mir liegen,
wo Challenger einen Vortrag über das Thema ›Weißmann
kontra
Darwin‹
gehalten
hatte.
Da
meine
naturwissenschaftlichen Kenntnisse beschränkt sind, hatte ich
Schwierigkeiten, den roten Faden zu verfolgen, aber es entging
mir nicht, daß der englische Professor das Thema auf äußerst
aggressive Weise behandelt hatte und seinen Kollegen
ordentlich auf die Zehen getreten war. Der Vortrag hatte Protest
und allgemeines Ärgernis zur Folge gehabt. Für mein
ungeschultes Gehirn allerdings klang das Ganze wie
Chinesisch.
»Kannst du mir das nicht ins Englische übersetzen?« fragte
ich Tarp Henry.
»Aber das ist doch bereits die Übersetzung«, sagte er.
»Dann sollte ich mir vielleicht den Urtext besorgen.
Vielleicht kann ich mit dem mehr anfangen.«
»Für einen Laien ist das nicht leicht zu verstehen, das gebe
ich zu.«
Ich überlegte. »Wenn ich einfach einen Satz herausnehme …
ja, den da!« Ich deutete darauf. »Den begreife ich sogar
ungefähr. Der wird mein Aufhänger.«
»Dann brauchst du mich also nicht mehr?«
»Doch, denn ich will diesem Challenger schreiben.
Vielleicht könnte ich den Brief gleich hier abfassen und diese
Adresse als Absender angeben. Das macht die Sache
gewichtiger.«
»Und Challenger bricht dann hier ein und schlägt alles kurz
und klein.«
»Ach wo – du kannst den Brief lesen. Keine Spur von Kritik
oder dergleichen. Du kannst dich darauf verlassen.«
»Gut, meinetwegen. Aber ich will den Brief wirklich sehen,
bevor du ihn abschickst.«
Ich schüttelte ihn nicht gerade aus dem Handgelenk, muß
aber sagen, daß ich schließlich richtig stolz darauf gewesen bin.
Ich las ihn dem kritischen Bakteriologen vor.
§
Sehr verehrter Professor Challenger,
als bescheidener Student der Naturwissenschaften habe ich
Ihre Theorien bezüglich Weißmann und Darwin mit dem
größten Interesse verfolgt. Ich hatte neulich die Gelegenheit,
mein Gedächtnis durch die erneute Lektüre Ihres Vertrags
›Weißmann kontra Darwin‹ wieder aufzufrischen. Ihre
großartigen Spekulationen scheinen das Thema ein für allemal
zu klären. Ein Satz jedoch macht mich stutzig. Ich zitiere: ›Ich
protestiere entschieden gegen die unmögliche und rein
dogmatische Behauptung, daß jedes einzelne Id ein
Mikrokosmos sein soll, der von einer eigenen historischen
Struktur geprägt ist, die sich durch eine Reihe von
Generationen hindurch entwickelt hat.‹ Haben Sie nach den
letzten Erkenntnissen der Forschung nicht den Wunsch, diesen
Satz abzuschwächen? Glauben Sie nicht, daß er zu drastisch ist?
Da mir das Thema sehr am Herzen liegt und ich gewisse
Vorschläge machen möchte, die sich nur in einem persönlichen
Gespräch erklären lassen, darf ich Sie höflichst um einen
Termin bitten. Ihr Einverständnis voraussetzend, erlaube ich
mir, Sie am kommenden Mittwoch um elf Uhr aufzusuchen.
Hochachtungsvoll
Edward D. Mahne
§
»Na?« fragte ich triumphierend. »Wie findest du meinen
Brief?«
»Wenn du es vor deinem Gewissen verantworten kannst –
gut.«
»Kann ich.«
»Und was bezweckst du damit?«
»Daß ich den Mann erst einmal zu sehen bekomme. Wenn
ich dann dort bin, wird mir schon etwas einfallen. Vielleicht
sage ich ihm einfach die Wahrheit. Wenn er ein Gentleman ist,
kann ihn das nur für mich einnehmen.«
»Meinst du? Daß du dich bloß nicht täuschst. Aber am
Mittwoch um elf wirst du es genau wissen. Der Mann ist
gewalttätig, gefährlich, streitsüchtig, von allen gehaßt, die mit
ihm zu tun haben, vor allem von seinen Studenten. Vielleicht
wäre es das beste, wenn du nie etwas von dem Mann gehört
hättest.«
#3
Ein absolut unmöglicher Mensch
§
Die Ängste oder auch Hoffnungen meines Freundes sollten
sich nicht bestätigen. Als ich mich am Mittwoch bei ihm
blicken ließ, wartete ein Brief auf mich. Der
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