Die Vergessene Welt
Er
reagiert so allergisch auf das Thema Südamerika, daß er auf
jeden losgeht, der ihm Fragen stellt. Reporter pflegt er die
Treppe hinunterzuwerfen. Meiner Meinung nach leidet er an
gewalttätigem Größenwahn und benutzt die Wissenschaft nur
als Aufhänger. So sieht die Sache aus, Mr. Malone, und Sie
müssen jetzt zusehen, was Sie daraus machen können. Sie sind
groß und muskulös und werden sich schon wehren können.
Und daß die Redaktion Ihnen in allem den Rücken deckt, das
brauche ich ja wohl nicht zu betonen.«
Das grinsende Gesicht senkte sich wieder nach unten, und
meinem Blick bot sich erneut die rosa Glatze. Das Gespräch
war beendet. Ich schlenderte zum Savage Club, ging aber nicht
hinein, sondern stützte mich mit beiden Händen auf das
Geländer der Adelphi Terrasse und blickte lange und
nachdenklich auf den braunen, öligen Fluß hinunter. In der
frischen Luft habe ich schon immer am besten und logischsten
denken können. Ich habe McArdles Zettel aus der Tasche
gezogen und ihn unter der elektrischen Lampe betrachtet. Und
plötzlich hatte ich eine Art göttliche Eingebung: als Journalist
hatte ich nicht die geringsten Chancen, mit diesem
gemeingefährlichen Professor in Kontakt zu kommen. In den
spärlichen Angaben zu seiner Person war jedoch von
Meinungsverschiedenheiten
und
scharfen
Auseinandersetzungen und hitzigen Diskussionen die Rede,
und daraus schloß ich, daß der Mann ein Fanatiker war und ich
vielleicht auf dem Umweg über die Wissenschaft an ihn
herankommen konnte. Ich mußte es versuchen.
Ich ging in den Club hinein. Es war kurz nach elf, und
obwohl der Hauptansturm noch nicht eingesetzt hatte, war es
bereits ziemlich voll. In einem Sessel neben dem Kamin saß ein
großer hagerer Mann. Als ich einen Stuhl neben ihn zog,
drehte er sich zu mir um. Er war genau mein Mann, dieser
Tarp Henry, seines Zeichens Bakteriologe und freier
Mitarbeiter der Zeitschrift Nature. Henry war ein kleiner,
ledriger Typ, der für seine Freunde alles tat. Ich fiel
rücksichtslos über ihn her. »Was weißt du über einen gewissen
Professor Challenger?« fragte ich.
»Challenger?« Er runzelte die Stirn. »Challenger ist der
Mann, der irgendwelche Lügenmärchen von einer Südamerika-
Expedition erzählt hat.«
»Was für Lügenmärchen?«
»Ach, irgendwelchen kompletten Blödsinn. Angeblich will er
seltsame Tiere entdeckt haben. Ich glaube, er hat seine
Behauptungen inzwischen widerrufen. Jetzt scheint er die Sache
totzuschweigen. Er hat bei seiner Rückkehr ein Interview
gegeben, ist dabei aber voll baden gegangen und hat wohl selbst
gemerkt, daß es so nicht geht. Eine peinliche Angelegenheit. Es
hat ein paar Leute gegeben, die ihn ernst genommen haben,
aber die hat er schon nach kurzer Zeit vergrault.«
»Wodurch?«
»Durch seine Grobheiten und sein unmögliches Benehmen.
Der arme alte Wadley vom Zoologischen Institut hat ihm ein
Glückwunschtelegramm geschickt und ihn zu einem Vortrag
eingeladen. Die Antwort, die er bekommen hat, war so ordinär,
daß ich sie nicht wiederholen will.«
»Stell dich doch nicht an, Tarp.«
»Na, was wird er schon geantwortet haben? Daß ihn der
Chef des Zoologischen Instituts am Abend besuchen soll.«
»Mann!«
»Der alte Wadley war fix und fertig. Mit allem hatte er
gerechnet, bloß damit nicht.«
»Und was weißt du noch von Challenger?«
»Du weißt, daß ich Bakteriologe bin. Ich lebe in der Welt des
Mikroskops und kann nicht für mich in Anspruch nehmen,
Dinge, die ich mit dem bloßen Auge sehe, objektiv beurteilen
zu können. Ich bin ein Mensch, der sich am äußersten Rand des
Erkennbaren bewegt, und fühle mich völlig fehl am Platz, wenn
ich mein Labor verlasse und auf euch große rauhe Gesellen
stoße. In meiner Welt gibt es keine Skandale, ich gebe
allerdings zu, daß ich bei wissenschaftlichen Gesprächen von
diesem Challenger gehört habe. Er scheint ein Mann zu sein,
den man einfach nicht ignorieren kann. Ein gerissener Typ, voll
von Vitalität und Energie, aber streitsüchtig, schrullig und
skrupellos. Er hat sogar die Stirn besessen, irgendwelche Fotos
von seiner Expedition zu fälschen.«
»Schrullig ist er, sagst du? Was hat er denn für
Marotten?«
»Unzählige. Sein Hauptsteckenpferd ist August Weißmann,
du weißt schon, der deutsche Zoologe, der nachgewiesen hat,
daß erworbene Eigenschaften nicht vererbbar sind. Bei
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