Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
eines Erwachsenen betrachtet, war er immer ein Antisemit. Ob er von seiner Herkunft wusste?
»Sehen Sie sich nur einmal um«, sagt Alberto und reißt Kimski aus seinen Gedanken. Alberto hebt seine rechte Hand und weist Richtung See, der unterhalb von ihnen liegt. Sonnenstrahlen tanzen auf seiner Wasseroberfläche. »Schauen Sie sich die Landschaft hier an. Und dann sagen Sie mir, ob es ein Fehler war, hierher zu ziehen?«
Alberto lacht.
»Man hat mir erzählt, Sie hätten sich in Mannheim mit ehemaligen Widerstandskämpfern getroffen?«
»Ja, als ich nach Mannheim kam, suchte ich nach einer Möglichkeit, Anschluss zu finden. Meine alten Bekannten waren entweder in den Wirren des Kriegs verschollen oder verstorben, so wie meine Pflegeeltern, die bei einem Bombenangriff ums Leben kamen. Oder sie begegneten mir kühl, weil sie nun wussten, dass ich Jude bin. Also nahm ich Kontakt zu Widerstandskämpfern auf. Es gab ein paar Treffen, bei denen wir uns über die aktuelle Situation austauschten. Eine ganze Reihe von uns war politisch ganz links eingestellt und träumte von irgendwelchen großen Umwälzungen. Für mich war das nichts. Außerdem war bei diesen Zusammenkünften auch schon sehr deutlich der Frust vieler zu spüren, weil ihr Engagement während des Kriegs im Nachhinein nicht anerkannt wurde. Der einzige Widerstandskämpfer, den ich kennenlernte und mit dem ich auf einer Wellenlänge lag, war Eugen Kämper. Wir trafen uns außerhalb dieser Zusammenkünfte, denn er ging nie dort hin. Ich glaube, die anderen wussten nicht einmal von ihm und seiner Widerstandsgruppe.«
Kimski richtet sich auf seinem Stuhl auf. Er holt den Notizblock aus seiner Hosentasche und schreibt sich etwas auf.
»Eugen Kämper sagten Sie?«
»Genau. Ich habe ihn über meinen Cousin kennengelernt. Sie gehörten wohl beide demselben Jugendkreis unserer Kirche an.«
»Wissen Sie, ich suche eine Gruppe von Frauen und Männern, die gegen Ende des Kriegs Anfang zwanzig waren und in den letzten Kriegstagen einen Anschlag auf einen KZ-Außenposten in Mannheim geplant hatten. Anscheinend hat dort aber noch niemand von ihnen gehört.«
»Klingt nach Eugen.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Ja. Eugen erzählte mir von diesem fehlgeschlagenen Plan. Keine Details, denn ich glaube, es war ihm unangenehm, überhaupt daran zurückdenken zu müssen, aber von dem Außenposten hatte er erzählt.«
»Dann ist er der richtige Ansprechpartner! Sie wissen nicht zufällig, wie es ihm heute geht oder wo er sich aufhält?«
»Nein, tut mir leid.«
Kimskis Handy klingelt. Er entschuldigt sich, steht auf und geht ein Stück abseits, um zu telefonieren.
»Haben sie schon etwas herausgefunden?«
Es ist Maria Kampowski.
»Ja. Ich habe einen Namen erfahren. Ich muss nur noch herausfinden, ob der Mann noch lebt und wo er wohnt. Danach werden wir wissen, ob er zu der Gruppe gehörte, die Sie suchen.«
»Das sind ja großartige Nachrichten! Wann sind Sie wieder zurück in Mannheim?«
»Ich fliege heute Abend um halb acht zurück nach Frankfurt.«
»Gut. Dann besprechen wir alles Weitere morgen, wenn Sie wieder hier sind. Wie, sagten Sie, heißt der Mann?«
»Eugen Kämper.«
Er beendet das Gespräch und legt auf. Wo er schon dabei ist, kann er noch weitere Anrufe erledigen und sucht im Telefonbuch seines Handys die Nummer der Auskunft heraus, die ihn weiterverbindet. Nach nur zwei Minuten landet er in der Warteschleife des Stephanus- Seniorenheims in Mannheim.
»Wie war noch gleich Ihr Name?«, fragt die Frau vom Pflegepersonal.
»Kimski.«
»Habe ich mir notiert. Soll ich Sie mit dem Apparat von Herrn Kämper verbinden?«
»Das heißt, er wohnt tatsächlich bei Ihnen?«
»Ja.«
»Gut, mehr wollte ich nicht wissen. Sie müssen mich auch nicht mit ihm verbinden. Ich denke, ich werde ihn in den nächsten Tagen persönlich besuchen kommen.«
Kimski geht zurück zu Eva und Alberto und fragt, ob er sie beide zum Mittagessen einladen darf.
14.
Donnerstag, 4. Juni 1942
Mannheim
Eugen keuchte. Sie rannten die Stufen des kleinen Treppenhauses im Westflügel des Schlosses hinauf, in dem Privatwohnungen untergebracht waren. Die Fotokamera hatte er in einer Tasche versteckt, die er nun fest umklammert hielt.
»Wir wollen den Messdiener besuchen «, sagte er sich immer wieder in Gedanken. Das war ihre Ausrede für den Fall, dass man sie erwischen würde. Im dritten Stock wohnte tatsächlich einer der Messdiener der Jesuitenkirche, den sie gut kannten –
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