Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
unterhält sich mit der Angestellten, die dahinter sitzt.
»Ah, da bist du ja.«
Er weiß nicht, was Eva auf dem Klo gemacht hat, aber irgendwie scheint sie sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben.
»Ich habe mich erkundigt, du könntest morgen Nachmittag eine Maschine nach Moskau nehmen.«
»Das bringt doch nichts. Ich habe ein Ticket für die Transsibirische Eisenbahn und die fährt morgen Mittag vom Hauptbahnhof Moskau Richtung Wladiwostok.«
»Cazzo«, sagt jetzt auch Kimski. »Das wusste ich nicht.«
»Und was ist mit dir? Du wolltest doch zum Gardasee?«
»Dafür muss ich nach Verona fliegen, ich habe eben nachgefragt. Um das heute noch zu schaffen, müsste ich mich ganz schön beeilen. Erst mal muss der Wagen von der Eingangstür zum Terminal weg und in die Tiefgarage. Und der letzte Flug heute geht in ...« Er hebt seinen Kopf und sieht zur Uhr, die an der Anzeigetafel angebracht ist. »... in genau siebzig Minuten. Und dich kann ich ja jetzt auch nicht so einfach hier stehen lassen.«
»Tja, immerhin«, sie sieht zu ihm auf. Ihr starrer Gesichtsausdruck wandelt sich zu einem schiefen Grinsen. »Dann sind deine Eier wohl genauso verkehrt herum wie meine!«
»Sieht so aus«, sagt Kimski etwas besorgt darüber, dass Eva nun auch noch anfängt, italienische Sprichwörter aus der Gosse ins Deutsche zu übertragen. Als sie sein belämmertes Gesicht sieht, muss sie lachen.
»Hör mal«, sagt Kimski. »Wie wäre es, wenn du mitkommst nach Italien? Ich lade dich ein.«
Um genau zu sein wird er sie als seine Assistentin auf das Spesenkonto setzen müssen.
»Und wenn du zurückkommst, suchst du in Ruhe nach der nächsten Reisemöglichkeit. Ich treffe in Italien einen Widerstandskämpfer, der sich dort zur Ruhe gesetzt hat. Darüber kannst du doch bestimmt auch irgendeinen Bericht basteln, oder?«
»Aha, so einfach willst du also deine Verfehlung wiedergutmachen.« Sie sieht ihn mit einem durchdringenden Blick an, wie es nur eine Frau kann, die einen Mann bei den Eiern hat, wie der sizilianische Volksmund sagen würde.
»Na ja«, stammelt er.
»Klar«, sagt sie und lächelt ihn überlegen an.
»Wirklich?«
»Warum nicht.«
12.
Dienstag, 22. April
Heidelberg
Nur wenig Mondlicht fällt durch die großen Fenster ins Schlafzimmer. Das schummrige Licht einer Nachttischlampe kann sich nur schwer gegen die erdrückende Dunkelheit der Wandvertäfelung und die düsteren antiquarischen Möbel behaupten. Mitten in dieser musealen Atmosphäre wirkt der moderne Hebekran für Rollstuhlfahrer wie ein Utensil aus einer fernen Zukunft.
»Passen Sie doch auf«, sagt Maria zu Sebastian, dem Pfleger, als dieser ihren Mann mithilfe des Krans aus seinem Stuhl hebt und etwas abrupt auf dem Bett absetzt.
Sie hat sich daran gewöhnt, im Nachthemd dabeizustehen, wenn ein Fremder in ihrem Schlafzimmer seiner Arbeit nachgeht. Daran, dass ihr Mann leidet, kann sie sich nicht gewöhnen. Adelbert stöhnt immer wieder leise auf. Sebastian ändert dessen Lage mehrfach, bis er die richtige Position zum Schlafen hat, dann zieht er sich zurück. Maria legt sich zu ihrem Mann und kuschelt sich vorsichtig an ihn. Eine Weile starrt sie ihn nur an, streichelt behutsam sein Gesicht, dann sagt sie leise: »Keine Angst, alles wird gut.«
Adelberts Atmung geht laut und langsam. Er krächzt und öffnet den Mund.
»Wer war der Mann ...«
»Schlaf«, flüstert sie. »Du musst dich ausruhen.«
»Neulich ... der Mann, der bei dir war ... war das wieder einer von denen?«
»Bitte, du sollst dich doch nicht aufregen. Ich kümmere mich um alles.«
Sie hebt ihren Kopf und küsst ihn auf die Stirn.
»Ich passe auf, dass alles gut wird.«
Sie legt sich wieder hin, wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel und drückt ihren Körper ganz nah an seinen.
»Ich werde dich beschützen.«
13.
Mittwoch, 23. April
Desenzano del Garda
Der Weg vom Bahnhof ins Zentrum des pittoresken Städtchens ist nicht weit. Eva und Kimski spazieren die Uferpromenade entlang und betrachten die kleinen Motorboote und Jachten. Sie haben in Verona im Hotel übernachtet und sind am Morgen mit dem ersten Zug nach Desenzano del Garda weitergereist. Noch vom Bahnhof aus hat Kimski Alberto Stumpf angerufen und mit ihm ein Treffen für 10 Uhr in dessen Haus vereinbart. Jetzt ist es kurz nach neun.
Die beiden laufen am alten Hafen an dem kleinen quadratischen Becken vorbei zur Piazza. Die Überreste des mittelalterlichen Kastells, das auf einem Felsvorsprung
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