Die vergessenen Welten 03 - Die selbernen Ströme
stießen, denn er hatte bereits vermutet, daß Jierdan etwas mit diesem Ort zu tun hatte. Sie gingen zwischen den Bäumen weiter und standen schließlich vor dem größten Gebäude der Stadt, dem Hauptturm des Geheimwissens.
»Wer ist denn eigentlich dein Herr?« fragte Entreri frei heraus. Jierdan, dessen Mut bei dem Anblick von Dendybars Turm zurückkehrte, kicherte. »Du wirst ihn früh genug kennenlernen.«
»Ich will es jetzt wissen«, knurrte Entreri. »Oder unsere Bekanntschaft hört hier auf. Ich bin jetzt in der Stadt, Soldat, und auf deinen Beistand nicht länger angewiesen.«
»Ich könnte dich von den Wachen der Stadt verweisen lassen«, gab Jierdan zurück, »oder noch Schlimmeres veranlassen!«
Aber Entreri hatte das letzte Wort. »Sie würden nicht einmal deine Leiche finden«, versicherte er ihm, und bei der eiskalten Gewißheit in seiner Stimme wich Jierdan das Blut aus den Adern.
Catti-brie verfolgte das Gespräch mit einem Interesse für den Soldaten, das mehr als flüchtig war, und fragte sich, ob sich nicht bald eine Gelegenheit böte, die mißtrauische Natur ihres Ergreifers zu ihrem Vorteil auszunutzen.
»Ich diene Dendybar dem Bunten, dem Meister des Nordturms«, erklärte Jierdan, der allein daraus, daß er den Namen seines mächtigen Herrn nannte, erneut Kraft schöpfte.
Entreri hatte den Namen zuvor schon gehört. In ganz Luskan und Umgebung war der Hauptturm allgemeines Gesprächsthema, und Dendybar der Bunte wurde in Unterhaltungen häufig erwähnt und als ein Zauberer beschrieben, der ehrgeizig war und im Turm nach Macht strebte. Zudem wurde auf eine düstere und unheilvolle Seite des Mannes hingewiesen, die es ihm ermöglichte, alles zu bekommen, was er wollte. Er war gefährlich, aber möglicherweise ein mächtiger Verbündeter. Entreri war erfreut. »Dann bring mich jetzt zu ihm«, sagte er zu Jierdan. »Mal sehen, ob wir gemeinsame Interessen haben oder nicht.«
Sydney erwartete sie bereits in der Eingangshalle des Hauptturms. Sie stellte sich nicht vor und fragte auch nicht nach den Namen der Besucher, sondern führte sie durch das Labyrinth der Korridore und Geheimtüren zum Empfangsraum von Dendybar dem Bunten. Der Zauberer wartete in voller Pracht auf sie, trug seine eleganteste Robe und hatte ein hervorragendes Mittagessen für sie auftischen lassen.
»Ich grüße dich, Reiter«, sagte Dendybar nach den notwendigen, aber dennoch unbehaglichen Augenblicken des Schweigens, in denen sich die beiden gegenseitig taxierten. »Ich bin Dendybar der Bunte, wie du ja bereits weißt. Möchtest du mit deiner bezaubernden Begleiterin eine Mahlzeit mit mir einnehmen?«
Seine krächzende Stimme zerrte an Catti-bries Nerven, und obwohl sie seit dem Abend zuvor nichts mehr zu sich ge
nommen hatte, verspürte sie trotz der freundlichen Geste des
Mannes keinen Appetit.
Entreri schob sie nach vorne. »Iß!« befahl er.
Sie wußte, daß Entreri sowohl sie als auch die Zauberer auf die Probe stellte. Aber es war auch an der Zeit, daß sie Entreri auf die Probe stellte. »Nein«, gab sie zurück und sah ihm direkt in die Augen.
Mit dem Handrücken schlug er sie zu Boden. Jierdan und Sydney machten unwillkürlich Anstalten, ihr zu helfen, aber da Dendybar nicht reagierte, hielten sie schnell inne und lehnten sich zurück. Catti-brie bewegte sich von dem Killer fort und behielt ihre abwehrende Haltung bei, als sie sich ein wenig entfernt hinkauerte.
Dendybar grinste den Meuchelmörder an. »Du hast damit einige meiner Fragen über das Mädchen beantwortet«, sagte er mit einem belustigten Lächeln. »Wozu dient sie?«
»Ich habe meine Gründe«, war Entreris einzige Antwort. »Natürlich. Darf ich deinen Namen erfahren?« Entreri verzog keine Miene.
»Ich weiß, daß du die vier Gefährten aus Zehn-Städte suchst«, fuhr Dendybar fort, der keine Lust hatte, um den heißen Brei herumzureden. »Ich suche sie auch, aber ich bin mir sicher, daß ich andere Gründe habe.«
»Du weißt nichts über meine Gründe«, erwiderte Entreri.
»Noch interessieren sie mich«, lachte der Zauberer. »Wir können uns bei dem Erreichen unserer verschiedenen Ziele gegenseitig helfen. Das ist alles, was mich interessiert.« »Ich bitte nicht um Hilfe.«
Dendybar lachte wieder. »Sie sind eine ernst zu nehmende Truppe, Reiter. Du unterschätzt sie.«
»Vielleicht«, entgegnete Entreri. »Du willst meine Absichten wissen, verrätst mir aber deine nicht. Was hat der Hauptturm mit Reisenden aus Zehn-Städte zu
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