Die vergessenen Welten 03 - Die selbernen Ströme
verschiedene Erinnerungen deutlicher geworden und andere neu eingefallen, und jetzt, auf diesem Marsch, dachte er zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrhundert wieder an die Zwergenhalle Dumathoin. Die Zwerge von Mithril-Halle hatten durch den Handel mit ihren Handwerkswaren ihren Lebensunterhalt leicht verdient, aber ihre schönsten Stücke und die kostbarsten Geschenke, die sie von Außenseitern erhalten hatten, hatten sie immer für sich behalten. In einem großen, geschmückten Saal, bei dessen Anblick jeder Besucher seine Augen weit aufriß, war das Vermächtnis von Bruenors Vorfahren gehortet worden. Es wurde dort offen ausgestellt und diente den angehenden Künstlern der Sippe zur Inspiration.
Bruenor kicherte leise bei der Erinnerung an die wunderschöne Halle und die herrlichen Stücke, überwiegend Waffen und Rüstungen. Er sah Wulfgar an, der an seiner Seite schritt, und den machtvollen Kriegshammer, den er ein Jahr zuvor geschmiedet hatte. Wenn seine Sippe noch in Mithril-Halle herrschte, dann würde Aegisfang in der Halle Dumathoin hängen und seine Unsterblichkeit in dem Vermächtnis seines Volkes besiegeln.
Aber wenn er Wulfgar beobachtete, wie der mit dem Hammer umging und ihn schwang, als bewegte er nur seinen Arm, bedauerte er nichts.
Der nächste Tag hielt weitere gute Neuigkeiten für sie bereit. Kurz nachdem sie ihr Lager abgebrochen hatten, stellten die Freunde fest, daß sie trotz des heftigen Sturms viel weiter gekommen waren, als sie vermutet hatten. Als sie weitermarschierten, bemerkten sie an der Landschaft sichtbare Veränderungen. Wo der Boden bisher nur an wenigen Stellen mit dürren Gräsern spärlich bewachsen war und sich bei dem sintflutartigen Regenfall in einen Schlammsee verwandelt hatte, trug er jetzt üppige Wiesen mit vereinzelten Ulmenwäldern. Als sie schließlich auf dem Kamm eines Hügels standen, wurde ihre Vermutung bestätigt: Vor ihnen lag das Dessarintal. Einige Meilen weiter, durch die Frühlingsschmelze und den jüngsten Sturm angeschwollen und von ihrem hohen Standort gut zu sehen, wälzte sich ein Arm des großen Flusses unermüdlich südwärts.
Dieses Land war einem langen Winter unterworfen, aber wenn die Pflanzen endlich erblühten, holten sie in kurzer Zeit alles mit einer pulsierenden, lebensprühenden Kraft auf, die in den Welten beispiellos war. Die Freunde wurden von satten Farben des Frühlings umgeben, als sie den Hügel zum Fluß hinunterstiegen. Das Gras wuchs so dicht, daß sie ihre Stiefel auszogen und barfuß über den weichen Teppich gingen, der sich wie Schwamm anfühlte. Die Lebenskraft war unübersehbar und wirkte ansteckend.
»Ihr solltet die Hallen sehen«, sagte Bruenor plötzlich. »Adern aus reinstem Mithril, die breiter sind als eure Hände! Sie sind wie silberne Ströme und werden an Schönheit nur von dem übertroffen, was eine Zwergenhand aus ihnen macht.« »Das Bedürfnis nach diesem Anblick treibt uns durch Not und Elend voran«, erwiderte Drizzt.
»Pah!« schnaubte Bruenor gutherzig. »Du bist hier, weil ich dich mit einem Trick überrumpelt habe, Elf. Aber dir wären sowieso keine Gründe mehr eingefallen, mich von diesem Abenteuer zurückzuhalten!«
Wulfgar mußte kichern. Er war an dem Streich beteiligt gewesen, durch den Drizzt dazu gebracht worden war, an dieser Reise teilzunehmen. Nach der großen Schlacht in Zehn-Städte gegen Akar Kessell hatte Bruenor eine tödliche Verletzung vorgetäuscht und den Dunkelelfen am Sterbebett gebeten, mit ihm seine uralte Heimat zu suchen. In dem Glauben, der Zwerg werde sein Leben beenden, hatte der Dunkelelf ihm diese letzte Bitte nicht abschlagen wollen.
»Und du!« brüllte Bruenor Wulfgar an. »Ich durchschaue, warum du mitgekommen bist, selbst wenn dein Schädel für dich selbst zu dick ist, als daß du es weißt!«
»Dann sag es mir«, forderte Wulfgar ihn lächelnd auf.
»Du läufst weg! Aber du kommst nicht davon los!« schrie der Zwerg. Wulfgars Belustigung schlug in Verwirrung um. »Wegen des Mädchens hetzt er in panischer Angst davon, Elf«, erklärte Bruenor Drizzt. »Catti-brie hält ihn in einem Netz gefangen, aus dem er trotz seiner Kraft nicht ausbrechen kann!«
Wulfgar, der keineswegs beleidigt war, stimmte in das Lachen über Bruenors schonungslose Enthüllungen ein. Aber bei den Bildern, die durch Bruenors Anspielungen auf Catti-brie ausgelöst worden waren, Erinnerungen an einen Sonnenuntergang an einem Hang von Kelvins Steinhügel oder Stunden, die sie auf
Weitere Kostenlose Bücher