Die vergessenen Welten 04 - Das Tal der Dunkelheit
in Bewegung setzte und ein Teil des Bodens in der Nische nachgab.
Nur Staub war zu sehen, wo der Dunkelelf und der Meuchelmörder gekämpft hatten. Für Bruenor schien in diesem schrecklichen Moment die Zeit stehenzubleiben. Reglos sah der Zwerg zu, wie sich in der Nische eine schwere Platte von der Decke löste und ihm die letzte seiner sinnlosen Hoffnungen raubte.
Durch das Auslösen der Fallvorrichtung wurden die heftigen Erschütterungen im Raum nur noch verstärkt. Die Wände bekamen Risse, und Steinbrocken lösten sich von der Decke. Von einer Tür aus schrie Sydney nach Bok, während Wulfgar an der anderen den Riegel zurückschob und seine Freunde zu sich rief.
Catti-brie sprang auf und eilte mit behenden Schritten zu dem gestürzten Halbling hinüber. Sie zerrte ihn an den Knöcheln zu der weit entfernten Tür und schrie Bruenor zu, er solle ihr helfen.
Aber der Zwerg starrte nur verloren mit leerem Blick auf die Trümmer in der Nische.
Ein großer Spalt öffnete sich im Boden und drohte ihren Fluchtweg abzuschneiden. Catti-brie biß entschlossen die Zähne zusammen und stürmte in die Sicherheit des Korridors voran. Wulfgar schrie noch einmal etwas zu dem Zwerg hinüber und begann sogar zu ihm zu laufen.
Endlich erhob sich Bruenor und ging auf sie zu — langsam und mit gesenktem Kopf. In seiner Verzweiflung hoffte er fast, daß sich unter ihm ein Spalt auftun und er in ein dunkles Loch fallen könnte. Um seiner unerträglichen Trauer ein Ende zu bereiten.
Das Ende eines Traums
Als endlich die letzten Erschütterungen des Einsturzes verhallt waren, kehrte die vier übriggebliebenen Freunde durch den Schutt und die Staubschleier zu der ovalen Kammer zurück. Ungeachtet der Berge zerbrochener Steine und des großen Spalts im Boden, der sie zu verschlingen drohte, taumelte Bruenor zu der Nische, dicht gefolgt von den anderen.
Weder Blut noch ein anderes Zeichen war von den zwei Meisterfechtern zu finden, nur ein Schutthaufen, der die Öffnung der Falle zudeckte. Bruenor konnte dunkle Ränder unter dem Haufen sehen und rief wieder und wieder Drizzts Namen. Die Vernunft sagte ihm trotzdem entgegen allen Wünschen und Hoffnungen, daß der Dunkelelf ihn nicht hören konnte. Daß die Falle ihm Drizzt auf immer entrissen hatte.
Die Tränen liefen ihm über die Wangen, als er einen Säbel erspähte, die magische Klinge, die Drizzt in einem Drachenhort gefunden hatte. Er lag bei den Trümmern der Nische. Feierlich hob er ihn auf und schob ihn in seinen Gürtel.
»O weh für dich, Elf«, schrie er in die Zerstörung hinein. »Du hast ein besseres Ende verdient!« Wenn die anderen in diesem Augenblick nicht so sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft gewesen wären, hätten sie den wütenden Unterton aus Bruenors Klage herausgehört. Angesichts des Verlustes seines besten und treuesten Freundes und nachdem er schon vor der Tragödie von Zweifeln gequält war, ob es klug war, weiter durch die Hallen zu gehen, war Bruenors Trauer mit noch stärkeren Schuldgefühlen vermischt. Er konnte die Rolle nicht vergessen, die er selbst bei dem Tod des Dunkelelfen gespielt hatte. Voller Verbitterung fiel ihm ein, wie er Drizzt überlistet hatte, sich seiner Suche anzuschließen, indem er seinen Tod vorgetäuscht und ein Abenteuer in Aussicht gestellt hatte, wie es keiner von ihnen erlebt hätte.
Jetzt stand er still da und mußte sich mit seiner inneren Qual abfinden.
Wulfgars Trauer war genauso tief, wurde aber nicht von anderen Gefühlen belastet. Der Barbar hatte einen seiner Lehrer verloren, einen Krieger, der ihn von einem wilden, brutalen Kämpfer in einen kühl überlegenden, geschickten Krieger verwandelt hatte.
Er hatte einen seiner engsten Freunde verloren. Er wäre Drizzt auf der Suche nach Abenteuern bis in die Hölle gefolgt. Er war immer fest überzeugt gewesen, daß der Dunkelelf sie eines Tages noch in eine Notlage bringen würde, aus der es kein Entrinnen mehr gegeben hätte. Aber wenn er an Drizzts Seite gekämpft hatte oder gegen ihn, seinen Meister, zum Wettkampf angetreten war, dann hatte er sich lebendig gefühlt und diesen Moment seines Daseins genossen. Oft hatte sich Wulfgar einen Tod neben dem Dunkelelfen ausgemalt, ein glorreiches Ende, von dem die Barden noch lange schreiben und singen würden, wenn ihre Feinde, denen sie zum Opfer gefallen waren, in ihren unbekannten Gräbern längst zu Staub zerfallen wären.
Das wäre ein Ende gewesen, vor dem sich der junge Barbar nicht gefürchtet
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