Die vergessenen Welten 08 - Nacht ohne Sterne
übersät, sogar in seinem Gesicht, wo ein Auge von Weiß umgeben war, während das andere aussah, als läge es unter einer schwarzen Maske.
Drizzt sah sich suchend um, fand aber keine weiteren Abdrücke auf dem Boden. Er vermutete, daß das Pferd von den Elfen für ihn bereitgestellt worden war, aber er konnte sich dessen nicht gewiß sein, und er wollte auf keinen Fall jemandem das Reittier stehlen.
Er klopfte dem Pferd den Hals und begann an ihm vorbeizugehen. Er war erst ein paar Schritte weit gekommen, als das Pferd schnaubte und sich umdrehte. Es galoppierte um ihn herum und stellte sich wieder vor ihn auf den Pfad.
Neugierig wiederholte Drizzt sein Vorgehen, schritt an dem Tier vorbei, und das Pferd folgte ihm erneut und stand wieder vor ihm.
»Haben sie dir gesagt, du sollst das tun?« fragte Drizzt schlicht und streichelte die Nüstern des Tieres.
»Habt ihr ihm das befohlen?« rief Drizzt laut in den Wald. »Ich frage die Elfen des Mondwaldes, ob dieses Pferd für mich bereitgestellt wurde?«
Alles, was an Antwort kam, war das protestierende Gezwitscher von Vögeln, die durch Drizzts Rufen aufgeschreckt worden waren.
Der Drow zuckte mit den Schultern und beschloß, das Pferd bis an den Waldrand zu reiten; es war sowieso nicht mehr weit. Er stieg auf und galoppierte los. Auf dem ebenen und breiten Pfad kam er schnell voran.
Er erreichte das östliche Ende des Mondwaldes am späten Nachmittag, als die hohen Bäume bereits lange Schatten warfen. Da er annahm, daß ihm die Elfen das Pferd nur überlassen hatten, damit er ihr Reich schneller verlassen konnte, brachte er das Tier noch unter den Schatten zum Stehen, da er absteigen und das Pferd in den Wald zurückschicken wollte.
Auf einmal bemerkte er ein Stück weiter am Waldrand eine Bewegung. Er sah einen Elfen auf einem großen schwarzen Hengst knapp außerhalb des Unterholzes. Der Elf sah zu ihm herüber, hob dann eine Hand an die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus, woraufhin Drizzts Pferd aus den Schatten sprang und über das dicke Gras galoppierte.
Der Elf verschwand sofort im Unterholz, aber Drizzt zügelte sein Pferd nicht wieder. Er begriff, daß sich die Elfen entschieden hatten, ihm auf ihre distanzierte Art zu helfen, und er nahm ihre Gabe an und ritt weiter.
Als er in dieser Nacht sein Lager aufschlug, bemerkte Drizzt, daß der Elfenreiter ihm in einigem Abstand folgte. Ihr Vertrauen war offenbar doch nicht unbegrenzt.
* * *
Catti-brie hatte nur wenig Erfahrung mit Städten. Sie hatte Luskan durchquert, war in einem verzauberten Streitwagen über die Pracht des mächtigen Tiefwassers hinweggeflogen und durch die große Stadt Calimhafen im Süden gereist. Nichts von alledem war aber dem Anblick nahegekommen, der sie erwartete, als sie durch die breiten, gewundenen Prachtstraßen von Silbrigmond schritt. Sie war bereits einmal hiergewesen, aber damals hatte sie als Gefangene von Artemis Entreri kaum etwas von den anmutigen Türmchen und den eleganten Bauten dieser prachtvollen Stadt bemerkt.
Silbrigmond war ein Ort für Philosophen und Künstler, eine Stadt, die für ihre Toleranz bekannt war. Hier konnte ein Architekt seiner Vorstellungskraft freien Lauf lassen, wenn er einen hundert Fuß hohen Turm errichten wollte. Ein Poet konnte hier an einer Straßenecke seine Gedichte vortragen und von den Gaben der Passanten gut und ehrlich seinen Lebensunterhalt bestreiten.
Obwohl ihre Mission ernst war und sie wußte, daß sie schon bald in die Finsternis eintauchen mußte, breitete sich ein Lächeln auf Catti-bries Gesicht aus. Sie verstand, warum Drizzt sooft von Mithril-Halle hierhergereist war; sie hätte niemals gedacht, daß die Welt so bunt und wundervoll sein könnte.
Aus einem Impuls heraus trat die junge Frau in eine dunkle, aber doch saubere Seitengasse. Sie holte die Pantherfigur hervor und stellte sie vor sich auf das Kopfsteinpflaster.
»Komm, Guenhwyvar!« rief Catti-brie leise. Sie wußte nicht, ob Drizzt den Panther schon früher mit in diese Stadt genommen hatte, und auch nicht, ob sie irgendwelche Regeln brach, aber sie glaubte, daß Guenhwyvar diesen Ort erleben sollte, und sie glaubte aus irgendeinem Grund auch, daß sie in Silbrigmond den Wünschen ihres Herzens folgen durfte.
Ein grauer Nebel umgab die Statuette, wirbelte herum und nahm allmählich Gestalt an. Der große Panther, eine sechshundert Pfund schwere, tintenschwarze, muskulöse Katze, deren Schulter Catti-bries Hüfte überragte, stand vor ihr.
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