Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis
gebräuchlicher als auf den Straßen, doch Entreri kannte ihn sehr wohl. Bei den Fischern bezog sich »Tang-Käfig« auf die Praxis, besonders streitlustige Scherenkrebse, die lebend auf den Markt gebracht werden mussten, dadurch zu isolieren, dass man aus Seetang-Strängen Barrikaden um sie errichtete. Auf den Straßen wurde der Ausdruck nicht so buchstäblich gebraucht, hatte aber eine ähnliche Bedeutung. Eine Person in einem Tang-Käfig war tabu, sie war von Barrikaden aus Drohungen umgeben und isoliert.
Plötzlich zeigte auch Entreris Gesicht die Anspannung, die auf Dwahvels Antlitz zu sehen war.
»Die Anweisung kam von mächtigeren Gilden als der meinen, von Gilden, die den Kupfernen Einsatz niederbrennen könnten und würden, um anschließend all meine Leute zu töten, ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden.« Dwahvel sagte es mit einem Achselzucken. »Entreri ist im Tang-Käfig, so sagten sie. Du kannst mir keinen Vorwurf daraus machen, dass ich dich nicht eingelassen habe.«
Entreri nickte. Pragmatismus um des Überlebens willen konnte er vielleicht besser verstehen als so mancher andere. »Und doch bist du herausgekommen, um mit mir zu reden«, sagte er.
Ein neuerliches Achselzucken von Dwahvel. »Nur, um dir mitzuteilen, warum unser Handel beendet ist«, erklärte sie. »Und um sicherzustellen, dass ich nicht in die zweite Kategorie falle, die du meinem Türsteher erläutert hast. Das Folgende bekommst du ohne eine Rechnung für geleistete Dienste. Jeder weiß, dass du zurückgekehrt bist, und deine Gegenwart hat sie alle nervös gemacht. Der alte Basadoni regiert noch immer seine Gilde, aber er steht jetzt im Schatten und ist mehr ein Aushängeschild als ein Anführer. Die Leute, die die Geschäfte der Basadoni-Gilde führen, kennen dich nicht, genausowenig wie jene der anderen Gilden, was das angeht. Aber sie kennen deinen Ruf. Und daher fürchten sie dich ebenso sehr, wie sie sich gegenseitig fürchten. Muss nicht Pascha Wroning befürchten, dass die Rakers Entreri angeheuert haben, um ihn zu töten? Oder selbst innerhalb der einzelnen Gilden: Müssen nicht jene, die sich darum bemühen, vor dem bevorstehenden Tod von Pascha Basadoni noch einen Posten zu ergattern, befürchten, dass andere Entreri zurückgerufen haben, um ihren eigenen Aufstieg zu sichern?« Entreri nickte erneut, bemerkte jedoch: »Oder ist es nicht möglich, dass Artemis Entreri einfach nur nach Hause zurückgekehrt ist?« »Natürlich«, antwortete Dwahvel. »Aber bis sie alle die Wahrheit über dich herausgefunden haben, werden sie dich fürchten, und der einzige Weg, um die Wahrheit zu erfahren …«
»Tang-Käfig«, beendete der Meuchelmörder den Gedanken. Er setzte dazu an, der Frau dafür zu danken, dass sie den Mut gehabt hatte, herauszukommen und ihm all das mitzuteilen, brach aber ab. Ihm kam in den Sinn, dass die Halblingsfrau möglicherweise nur Anweisungen befolgte, dass dieses Treffen vielleicht nur Teil des Überwachungsprozesses war.
»Pass gut auf deinen Rücken auf«, fügte Dwahvel hinzu und begab sich wieder zu ihrer Geheimtür zurück. »Du kannst dir vorstellen, dass es viele gibt, die sich den Kopf von Entreri für ihre Trophäenwand wünschen.«
»Was weißt du?«, fragte der Meuchelmörder, denn es schien offensichtlich, dass Dwahvel nicht nur eine allgemeine Warnung aussprechen wollte.
»Vor der Tang-Käfig-Anweisung sind meine Spione ausgeschwärmt, um herauszufinden, wie deine Rückkehr aufgenommen wurde«, erklärte sie. »Man hat ihnen mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben, und zwar zumeist von jungen Meuchelmördern. Pass gut auf deinen Rücken auf.« Und damit war sie verschwunden, wieder durch die Geheimtür in den Kupfernen Einsatz gehuscht.
Entreri stieß einen Seufzer aus und ging weiter. Er fragte sich nicht, ob es eine gute Idee gewesen war, nach Calimhafen zurückzukommen, denn wie auch immer die Antwort darauf lauten mochte, es schien ihm nicht wichtig zu sein. Ebensowenig fing er damit an, genauer in die Schatten zu spähen, die die dunkle Straße einhüllten. Vielleicht verbarg sich in einem von ihnen sein Mörder. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war es völlig egal.
* * *
»Perry«, sagte Giunta der Beschwörer zu Kadran Gordeon, während die beiden den jungen Kämpfer dabei beobachteten, wie er über die
Dächer huschte und aus sicherer Entfernung Artemis Entreri
beschattete. »Ein Leutnant von Bodeau.«
»Beobachtet er?«, fragte Kadran.
»Er jagt«, korrigierte
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