Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis
Lüge, die sie verbreiten, und die Lüge, die sie selbst sind. Sie rauben Hoffnung, weil es ohne Hoffnung keine Stärke gibt. Ohne Hoffnung gibt es keine Freiheit. In der Versklavung des Herzens findet ein Dämon seine größte Wonne.«
Wulfgar holte tief, tief Luft. Er versuchte, dies alles zu verarbeiten, die logischen Wahrheiten in Catti-bries Worten – und die einfache Tatsache, dass er Errtus Klauen entronnen war – mit der allgegenwärtigen Pein, die seine Erinnerung heimsuchte, abzuwägen. Auch Catti-brie brauchte eine ganze Weile, um all das zu verdauen, was ihr Wulfgar in den letzten paar Tagen erzählt hatte. Sie verstand jetzt, dass es mehr als Schmerz und Grauen war, das ihren Freund gefangen hielt. Nur ein Gefühl konnte einen Mann derart verkrüppeln. Bei der Begutachtung seiner Erinnerungen hatte Wulfgar einige gefunden, in denen er aufgegeben und den Begierden von Errtu oder seinen Schergen nachgegeben hatte, in denen er seinen Mut oder seinen Widerstandsgeist verloren hatte. Ja, es war für Cattibrie völlig offensichtlich, als sie den Mann jetzt intensiv musterte, dass der Dämon, der Wulfgar seit seiner Zeit bei Errtu beharrlich verfolgte, mehr als alles andere ein Gefühl der Schuld war.
Natürlich war das alles für sie absurd. Sie konnte Wulfgar ohne Probleme alles vergeben, was er gesagt oder getan hatte, um in dem Irrsinn des Abgrunds zu überleben. Wirklich alles. Aber es war nicht absurd, ermahnte sie sich schnell, denn es stand deutlich auf dem gepeinigten Gesicht des Mannes geschrieben.
Wulfgar presste die Augen zusammen und knirschte mit den Zähnen. Sie hatte Recht, sagte er sich immer wieder. Die Vergangenheit war Vergangenheit, eine Erfahrung, die vorbei, eine Lektion, die gelernt worden war. Jetzt waren sie alle wieder zusammen, gesund und auf dem Weg in ein Abenteuer. Jetzt hatte er die Fehler erkannt, die er während seiner früheren Beziehung zu Catti-brie gemacht hatte, und konnte sie mit neuer Hoffnung und neuen Wünschen anblicken.
Sie bemerkte, dass der Mann ein wenig ruhiger war, als er jetzt die Augen wieder öffnete und sie ansah. Und dann beugte er sich vor und küsste sie sanft, berührte nur zart ihre Lippen mit den seinen, als wollte er um Erlaubnis bitten.
Catti-brie schaute sich um und sah, dass sie wirklich alleine waren. Obgleich die anderen sich in der Nähe befanden, waren die, die nicht schliefen, zu sehr mit ihrem Spiel beschäftigt, um irgendetwas anderes wahrzunehmen.
Wulfgar küsste sie erneut, ein wenig drängender, und zwang sie auf diese Weise dazu, sich ihrer Gefühle für den Mann klar zu werden. Liebte sie ihn? Als einen Freund auf jeden Fall, aber war sie bereit, diese Liebe auf eine andere Stufe zu heben?
Catti-brie konnte es nicht ehrlichen Gewissens sagen. Einst hatte sie beschlossen, Wulfgar ihre Liebe zu schenken, ihn zu heiraten und seine Kinder zu bekommen, ihr Leben mit ihm zu teilen. Aber das war vor vielen Jahren gewesen, zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort. Jetzt hatte sie Gefühle für jemand anderen – vielleicht, denn sie hatte jene Gefühle tatsächlich niemals wirklich erforscht, genauso wenig wie sie es bislang mit ihren gegenwärtigen Gefühlen für Wulfgar getan hatte.
Und jetzt hatte sie auch keine Zeit dazu, denn Wulfgar küsste sie erneut mit Leidenschaft. Als sie nicht auf die gleiche Weise reagierte, zog er sich um Armeslänge zurück und starrte sie intensiv an. Als sie ihn jetzt anblickte, am Rand des Abgrunds, auf einer Klippe zwischen Vergangenheit und Zukunft, begriff Catti-brie, dass sie ihm dies geben musste. Sie zog ihn wieder an sich, küsste ihn, und sie umarmten sich innig, während Wulfgar sie mit sich auf den Boden zog. Sie berührten sich, streichelten sich und hantierten an ihren Kleidern herum.
Sie ließ ihn sich in seiner Leidenschaft verlieren, überließ ihm die Initiative mit Berührungen und Küssen. Sie fand Behagen an der Rolle, die sie übernommen hatte, und hoffte, dass ihr Tun in dieser Nacht Wulfgar wieder in das Reich der Lebenden zurückführen würde.
Und es gelang. Wulfgar wusste es, spürte es. Er entblößte ihr sein Herz und seine Seele, ließ seinen Panzer fallen, badete in dem Gefühl, bei ihr zu sein, in ihrem süßen Geruch, in ihrer Weichheit.
Er war frei! Diese ersten paar Minuten lang war er frei, und es war überwältigend und schön und so wirklich.
Er rollte sich auf den Rücken, und seine starke Umarmung zog Catti-brie über ihn. Er knabberte sanft an ihrem
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