Die vergessenen Welten 11 - Kristall der Finsternis
richtete.
Es war nichts zu sehen.
»Er hat die falsche Entscheidung getroffen«, sagte die Frau leise nach einem langen Schweigen. »Ich weiß, dass er sich selbst helfen muss, aber das hätte er auch unter Freunden tun können, nicht dort draußen, in der Wildnis.«
»Er wollte nicht, dass wir Zeugen seines persönlichsten und intimsten Kampfes werden«, erklärte Drizzt.
»Stolz war schon immer Wulfgars größter Fehler«, erwiderte Catti brie schnell.
»Das ist die Art seines Volkes, die Art seines Vaters und die des Vaters seines Vaters davor«, sagte der Waldläufer. »Die TundraBarbaren akzeptieren Schwäche weder bei anderen noch bei sich selbst, und Wulfgar glaubt, dass die Unfähigkeit, seine Träume zu überwinden, nichts anderes als Schwäche sei.«
Catti-brie schüttelte den Kopf. Sie brauchte die Worte nicht laut aussprechen, denn sowohl sie als auch Drizzt wussten, dass der Mann damit völlig falsch lag, dass sich oftmals die mächtigsten Feinde in einem selbst befanden.
Jetzt hob Drizzt die Hand und fuhr mit einem Finger sanft neben Catti-bries Nase entlang, an jener Stelle, die von Wulfgars Schlag heftig angeschwollen war. Die Frau zuckte zuerst zusammen, doch das war nur, weil sie die Berührung nicht erwartet hatte, und nicht, weil sie Schmerzen empfand. »Es ist nicht so schlimm«, meinte sie.
»Da wird Bruenor nicht einer Meinung mit dir sein«, erwiderte der Drow.
Das brachte ein Lächeln auf Catti-bries Gesicht. Es stimmte schon – wenn Drizzt Wulfgar so kurz nach dem Angriff zurückgebracht hätte, wären sie alle zusammen kaum in der Lage gewesen, den aufgebrachten Zwerg von der Kehle des Barbaren fernzuhalten. Aber selbst das hatte sich jetzt geändert, wie beide wussten. Wulfgar war viele Jahre lang wie ein Sohn für Bruenor gewesen, und der Zwerg war nach dem scheinbaren Tod des Mannes – mehr als alle anderen – völlig am Boden zerstört gewesen. Jetzt, da klar war, dass Wulfgars Probleme ihn erneut von ihnen getrennt hatten, vermisste Bruenor den Barbaren aus ganzem Herzen und würde ihm gewiss den Schlag gegen Catti-brie verzeihen … sofern der Mann angemessen zerknirscht über sein Tun war. Sie alle hätten Wulfgar verziehen, vollständig und ohne über ihn zu richten, und sie hätten ihm auf jede mögliche Weise geholfen, den Aufruhr in seinen Gefühlen zu überwinden. Das war die eigentliche Tragödie, denn sie konnten ihm keine wirkliche Hilfe anbieten.
Drizzt und Catti-brie saßen bis tief in die Nacht nebeneinander und starrten in die leere Tundra hinaus, während die Frau ihren Kopf auf die starke Schulter des Drow gelegt hatte.
Die nächsten beiden Tage und Nächte ihrer Reise erwiesen sich als friedlich und ereignislos, abgesehen von dem Umstand, dass Drizzt mehr als einmal die Spuren von Regis' Riesenfreund fand, der ihnen anscheinend folgte. Doch der Gigant kam nie in die Nähe ihres Lagers, und so war der Drow nicht sonderlich besorgt. Gegen Mittag des dritten Tages seit Wulfgars Weggang kamen sie in Sichtweite von Luskan.
»Dein Ziel, Camlaine«, bemerkte der Drow, als der Fahrer rief, dass er die Dächer der Stadt sehen konnte, einschließlich des baumartigen Gebäudekomplexes, der der Zauberergilde von Luskan gehörte. »Es war eine Freude, mit euch zu reisen.«
»Und eure guten Speisen zu essen!«, fügte Regis glücklich hinzu, was alle zum Lachen brachte.
»Vielleicht können wir dich auf unserer Rückkehr in das Tal wieder begleiten, falls du dich dann noch in den Südlanden befindest«, meinte Drizzt.
»Wir würden uns über eure Gesellschaft freuen«, erwiderte der Händler und drückte dem Dunkelelfen herzlich die Hand. »Lebt wohl, wo immer euch eure Reise hinführt, obwohl ich den Gruß nur aus Höflichkeit ausspreche, denn ich habe keinen Zweifel daran, dass es euch gut ergehen wird! Mögen die Monster gewarnt sein, dass ihr unterwegs seid, und besser die Köpfe einziehen.«
Der Wagen rollte über die verhältnismäßig gute Straße nach Luskan davon. Die vier Freunde schauten ihm lange nach.
»Wir könnten mit ihm in die Stadt gehen«, meinte Regis.
»Du müsstest dort gut genug bekannt sein, schätze ich«, fügte er, an Drizzt gewandt, hinzu. »Deine Volkszugehörigkeit sollte uns keine Probleme bereiten …«
Drizzt schüttelte den Kopf, bevor der Halbling noch ausgeredet hatte. »Ich kann mich wirklich ungehindert in Luskan bewegen«, sagte er, »aber mein Weg, unser Weg, führt nach Südosten. Eine
lange, lange Reise liegt noch vor
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