Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
Sache würde vor der Hochzeit platzen, falls irgendjemand vermutete, dass sie das Kind eines anderen Mannes in sich trug.
»Du solltest es besser wissen, als abends ohne Wachen hinauszugehen«, tadelte Priscilla, sobald das Paar in die Vorhalle getreten war. »Es treiben sich Banditen herum.«
Sie funkelte Meralda böse an, und diese erkannte den wahren Grund für Priscillas Zorn. Die Frau machte sich nicht wegen Banditen Sorgen um ihren Bruder. Sie hatte vielmehr Angst vor dem, was zwischen Feringal und Meralda passieren könnte.
»Banditen?«, erwiderte Feringal mit einem leisen Lachen. »Es gibt keine Banditen in Auckney. Wir hatten seit vielen Jahren keinen Ärger mehr, nicht seit ich Lord bin.«
»Dann sind wir überreif dafür«, entgegnete Priscilla trocken. »Möchtest du, dass der erste Überfall seit Jahren ausgerechnet auf den Lord und seine zukünftige Braut verübt wird? Hast du denn gar kein Verantwortungsgefühl gegenüber der Frau, von der du sagst, dass du sie liebst?«
Das versetzte Feringal einen Dämpfer. Priscilla schien dies jedes Mal mit wenigen Worten zu erreichen. Meralda machte sich eine geistige Notiz, diese Situation zu ändern, sobald sie über ein wenig Macht verfügte.
»Es war meine Schuld«, warf sie ein und trat zwischen die Geschwister. »Ich gehe gerne abends spazieren, das ist meine liebste Zeit dafür.«
»Du bist keine gewöhnliche Bäuerin mehr«, tadelte Priscilla grob. »Du musst begreifen, welche Verantwortung du auf dich nimmst, wenn du in diese Familie aufsteigst.«
»Ja, Herrin Priscilla«, erwiderte Meralda und machte mit gesenktem Kopf einen höflichen Knicks.
»Wenn du abends spazieren gehen willst, so tue es im Garten«, fügte Priscilla in einem etwas weniger scharfen Tonfall hinzu. Meralda, die ihren Kopf noch immer gesenkt hatte, so dass Priscilla ihr Gesicht nicht sehen konnte, lächelte wissend. Sie bekam allmählich heraus, wie sie die Frau behandeln musste. Priscilla mochte ein widerborstiges Opfer, nicht eines, das demütig war und ihr nachgab.
Priscilla drehte sich mit einem frustrierten Schnauben um und wollte gehen.
»Wir haben Neuigkeiten«, sagte Lord Feringal plötzlich, und Priscilla hielt inne. Meraldas Kopf schoss hoch, das Gesicht rot vor Überraschung. Sie wollte die Worte ihres Zukünftigen am liebsten ungeschehen machen; dies war nicht der richtige Zeitpunkt für die Ankündigung.
»Wir haben entschieden, dass wir nicht bis zum Frühling mit unserer Heirat warten können«, fuhr Feringal fort. »Die Vermählung wird während der Tagundnachtgleiche stattfinden.«
Priscillas Gesicht wurde, wie erwartet, puterrot. »Tatsächlich«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und hast du diese Neuigkeit auch schon Verwalter Temigast mitgeteilt?« »Du bist die Erste«, erwiderte Lord Feringal. »Aus Höflichkeit, und weil du es bist, die sich um die Hochzeitsvorbereitungen kümmert.« »Tatsächlich«, wiederholte Priscilla in eisigem Ton. »Geh doch und sag es ihm, Feri«, wies sie ihn an. »Er befindet sich in der Bibliothek. Ich werde mich darum kümmern, dass Meralda nach Hause gebracht wird.«
Das ließ Lord Feringal zurück zu der jungen Frau eilen. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, Geliebte«, sagte er. Nachdem er sie zärtlich auf die Fingerknöchel geküsst hatte, schritt er davon, begierig, rasch den Verwalter zu finden.
»Was hast du da draußen mit ihm gemacht?«, herrschte Priscilla Meralda an, sobald ihr Bruder fort war. Meralda schürzte die Lippen. »Gemacht?«
»Du, äh, hast deine Reize bei ihm wirken lassen, nicht wahr?«
Meralda musste laut über Priscillas Bemühen lachen, eine derbe Sprache zu vermeiden. Es war eine Reaktion, die die herrische Priscilla gewiss nicht erwartet hatte. »Vielleicht hätte ich das tun sollen«, erwiderte sie. »Die Bestie zähmen, nennen wir das, aber nein, ich habe es nicht getan. Ich liebe ihn, weißt du, aber meine Mutter hat mich nicht zu einer Schlampe erzogen. Dein Bruder wird mich heiraten, und deshalb werden wir warten. Bis zur Tagundnachtgleiche, wie er es gesagt hat.« Priscillas Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen.
»Du hasst mich dafür«, beschuldigte Meralda sie unverhohlen. Darauf war Priscilla nicht vorbereitet gewesen. Ihre Augen wurden riesengroß, und sie wich einen Schritt zurück. »Du hasst mich dafür, dass ich dir den Bruder nehme und das Leben störe, dass du für dich geplant hattest, aber das finde ich ein wenig selbstsüchtig, wenn ich
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