Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
das so sagen darf. Dein Bruder liebt mich und ich ihn, und deshalb werden wir heiraten, ob mit deinem Segen oder ohne ihn.« »Wie kannst du es wagen …«
»Ich wage es, die Wahrheit zu sagen«, fiel ihr Meralda ins Wort und war selbst von ihrer Forschheit überrascht, wusste aber, dass sie nicht nachgeben würde. »Meine Mutter wird in unserem kalten Haus den Winter nicht überleben, und ich werde sie nicht sterben lassen. Nicht wegen irgendeiner Schicklichkeit und nicht wegen deiner Befindlichkeiten. Ich weiß, dass du die Planung übernimmst, und deshalb bin ich dir dankbar, aber tue es schneller.«
»Das ist also alles, um was es geht?«, fragte Priscilla, die glaubte, eine Schwäche gefunden zu haben. »Deine Mutter?«
»Es geht um deinen Bruder«, erwiderte Meralda und stand hoch aufgerichtet und mit durchgedrückten Schultern vor der anderen Frau. »Um Feringal, und nicht um Priscilla, und das ist es, was dich so wurmt.«
Priscilla war so geschockt und überrascht, dass sie nicht einmal eine Entgegnung hervorbringen konnte. Sie drehte sich mit hochrotem Kopf um und lief davon, so dass Meralda allein in der Vorhalle zurückblieb.
Die junge Frau verbrachte eine ganze Weile damit, über ihre eigenen Worte nachzudenken, und konnte kaum glauben, dass sie Priscilla derart getrotzt hatte. Sie überlegte, was sie als Nächstes tun sollte, und hielt es für klug zu gehen. Sie hatte Liam mit der Kutsche vor dem Vordertor gesehen, als sie mit Feringal hereingekommen war, daher ging sie zu ihm und wies ihn an, sie nach Hause zu bringen.
Er beobachtete die Kutsche, wie sie die Straße von der Burg entlang kam, so wie er es immer tat, wenn Meralda von einem ihrer Besuche bei dem Lord von Auckney zurückkehrte.
Jaka Sculi wusste nicht, was er von seinen eigenen Gefühlen zu halten hatte. Er musste immer wieder an den Moment denken, als Meralda ihm von dem Kind erzählt hatte, seinem Kind. Er hatte sie zurückgestoßen, hatte zugelassen, dass seine echten Gefühle deutlich auf seinem Gesicht zu lesen gewesen waren. Jetzt war dies hier seine Strafe: dabei zuzusehen, wie sie von Burg Auck zurückkam, wie sie von ihm zurückkam.
Was hätte Jaka anders machen können? Er wollte gewiss nicht das Leben führen, das Meralda ihm angeboten hatte. Das auf keinen Fall! Der Gedanke, die Frau zu heiraten, zuzusehen, wie sie fett und hässlich wurde und ein schreiendes Kind bekam, ließ ihn erschaudern, doch vielleicht nicht so sehr wie die Vorstellung, dass Lord Feringal sie bekam.
Das war es, wurde Jaka jetzt klar, auch wenn diese Erkenntnis kaum etwas an dem änderte, was er in seinem Innersten empfand. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Meralda mit dem Mann schlief, dass Lord Feringal Jakas Kind als das seine aufzog. Es war, als würde der Mann ihn berauben, so wie es jeder Lord in jeder Stadt auf subtilere Weise mit den Bauern tat. Ja, sie nahmen immer von den Bauern, von ehrlichen Leuten wie Jaka. Sie lebten im Wohlstand, umgeben von Luxus, während ehrliche Leute wie Jaka sich die Fingernägel im Dreck abbrachen und verrottete Früchte aßen. Sie nahmen sich die Frauen, die sie wollten, und boten dafür keinen besonderen Charakter, sondern nichts als Reichtum, dem Bauern wie Jaka nichts entgegenzusetzen hatten. Feringal hatte sich seine Frau genommen, und jetzt würde er auch noch Jakas Kind nehmen.
Vor Zorn bebend, rannte Jaka die Straße entlang und fuchtelte mit den Armen, um die Kutsche anzuhalten.
»Verschwinde!«, rief Liam zu ihm herab, ohne langsamer zu werden.
»Ich muss mit Meralda sprechen«, schrie Jaka. »Es geht um ihre Mutter.«
Das ließ Liam die Kutsche so weit verlangsamen, dass er zu Meralda hinabschauen und ihre Meinung ergründen konnte. Die junge Frau steckte den Kopf aus der Kutsche, um die Quelle der Unruhe herauszufinden. Als sie den so offensichtlich erregten Jaka erblickte, wurde sie bleich, zog sich aber nicht zurück.
»Er will, dass ich anhalte, damit er mit dir reden kann. Es hat etwas mit deiner Mutter zu tun«, erklärte der Kutscher.
Meralda musterte Jaka sorgsam. »Ich werde mit ihm reden«, stimmte sie zu. »Du kannst hier halten und mich rauslassen, Liam.« »Es ist noch eine ganze Meile bis zu deinem Haus«, stellte der Gnomenkutscher fest, der nicht sehr erbaut über diese Störung war. »Ich könnte euch beide dorthin bringen«, bot er an.
Meralda dankte ihm, winkte aber ab. »Eine Meile kann ich bequem zu Fuß gehen«, antwortete sie und war aus der Tür, noch bevor
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