Die vergessliche Mörderin
habe bisher dreiundvierzig geschrieben. Ich heiße Oliver.«
»Ariadne Oliver?«
»Dann kennen Sie also meinen Namen. Das ist ja sehr schmeichelhaft, allerdings kann ich mir vorstellen, dass Sie nichts mit meinen Büchern anfangen können. Sicher sind sie Ihnen zu altmodisch – zu wenig brutal.«
»Und Sie wussten vorher bestimmt nicht, wer ich bin?«
Mrs Oliver schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht.«
»Wie steht’s mit dem Mädchen, mit dem ich zusammen saß?«
»Meinen Sie die, mit der Sie – was war’s denn? – ach ja, gebackene Bohnen gegessen haben? Nein, ich glaube nicht. Aber ich habe sie nur von hinten gesehen. Mir kam sie… na, ich finde, die Mädchen gleichen sich heute alle, stimmt’s nicht?«
»Sie hat Sie aber gekannt«, sagte er, plötzlich wieder beißend scharf. »Sie hat gesagt, sie hätte Sie erst kürzlich kennen gelernt. Vor ungefähr einer Woche.«
»Wo denn? Auf einer Gesellschaft? Das könnte gut sein. Wie heißt sie denn? Vielleicht sagt mir der Name was.«
Zunächst schwankte er, und als er sich entschieden hatte, beobachtete er sie genau. »Sie heißt Norma Restarick.«
»Norma Restarick. Natürlich, ja. Auf dem Land, bei einer Cocktailparty! Warten Sie mal, das Dorf heißt Long Norton. Kann das sein? Ich war mit Freunden da. Aber ich glaube nicht, dass ich sie wieder erkannt hätte. Ich erinnere mich nur, dass wir über meine Bücher gesprochen haben. Ich wollte ihr sogar eins leihen. Merkwürdig, dass ich ausgerechnet jemand beschatte, der mit jemand zusammensitzt, den ich flüchtig kenne! So ein Zufall! Aber für meinen neuen Roman kann ich das nicht verwenden, das nimmt mir kein Mensch ab, finden Sie nicht auch?«
Mrs Oliver erhob sich. »Du lieber Himmel! Eine Mülltonne! Und da habe ich drauf gesessen! Und wie die riecht! Sagen Sie, wo sind wir hier eigentlich?«
David sah sie an. Wie absurd, dachte sie. Wie bin ich nur drauf gekommen, dass er gefährlich ist und mir etwas tun könnte? David lächelte sie sehr charmant an. Er bewegte leicht den Kopf, und die kastanienfarbenen Locken fielen ihm über die Schulter.
»Wenigstens kann ich Ihnen zeigen, wohin Sie Ihre Verfolgungsjagd geführt hat«, sagte er. »Kommen Sie mit. Wir müssen hier die Treppe hinauf.« Er wies auf eine Holztreppe, die auf einen Dachboden zu führen schien.
»Da hinauf?«, fragte Mrs Oliver unsicher. Vielleicht wollte er sie nur nach oben locken, um ihr dann eins über den Kopf zu geben. »Hält die Treppe mein Gewicht aus? Sie wirkt so morsch.«
»Die ist ganz stabil«, sagte er. »Darf ich vorangehen?«
Mrs Oliver kletterte hinter ihm die steilen Stufen empor. Oben öffnete er eine Tür, die in einen großen, kahlen Raum führte, eine Art Atelier. Matratzen lagen auf der Erde, Staffeleien standen herum, Bilder waren aufgestapelt. Es roch durchdringend nach Farbe. An einer Staffelei malte ein bärtiger junger Mann. Als sie hereinkamen, drehte er sich um.
»Na, David, bringst du Besuch mit?«
Noch nie hatte Mrs Oliver einen so schmutzigen jungen Mann gesehen. Öliges schwarzes Haar hing ihm in Strähnen bis in den Nacken und über die Stirn bis in die Augen. Er war bärtig und außerdem unrasiert und trug einen schmierigen schwarzen Lederanzug und Schaftstiefel. Mrs Olivers Blick wanderte weiter zu dem Mädchen, seinem Modell. Sie saß hingegossen auf einem Holzstuhl, den Kopf zurückgeworfen, sodass die langen dunklen Haare fast den Boden berührten. Mrs Oliver erkannte sie sofort: das zweite Mädchen aus der Wohnung in den Borodene Mansions. An den Nachnamen konnte sie sich nicht erinnern, wohl aber an den Vornamen. Es war die auffällig zurechtgemachte, ätherisch wirkende Frances.
»Das ist Peter«, sagte David mit einer Geste zu dem Maler. »Eins unserer aufstrebenden Genies. Und das ist Frances, die da als verzweifeltes Mädchen posiert, das nach einer Abtreibung schreit.«
»Brems dich mal, du Affe!«, sagte Peter.
»Kennen wir uns nicht?«, fragte Mrs Oliver naiv. »Wir haben uns doch irgendwo getroffen, nicht? Und das kann noch gar nicht lange her sein.«
»Sie sind Mrs Oliver, nicht wahr?«, fragte Frances.
»Ja, das hat sie mir auch gesagt«, erklärte David. »Das stimmt also sogar.«
»Wo habe ich Sie bloß kennen gelernt?«, fuhr Mrs Oliver fort. »Auf einer Party? Nein. Warten Sie mal. Oh, ich weiß es! In den Borodene Mansions.«
Frances hatte sich aufgerichtet. Peter stöhnte laut. »Jetzt hast du dich schon wieder anders gesetzt! Musst du dich denn wie ein
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