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Die vergessliche Mörderin

Die vergessliche Mörderin

Titel: Die vergessliche Mörderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ihren Freund handelt es sich also nicht?«
    »Nein. Es ist… meine Stiefmutter.«
    »Die böse Stiefmutter! Das ist doch Blödsinn. In Ihrem Alter! Was hat sie Ihnen angetan, abgesehen davon, dass sie Ihren Vater geheiratet hat? Hassen sie den auch, oder lieben Sie ihn so sehr, dass Sie ihn mit niemand teilen wollen?«
    »Nein, darum geht es nicht. Früher habe ich ihn sehr geliebt. Ich habe ihn wirklich geliebt. Er war – er war – ich fand ihn fabelhaft.«
    »Na, nun passen Sie mal auf«, sagte Dr. Stillingfleet, »ich möchte Ihnen etwas vorschlagen. Sehen Sie die Tür da?«
    Norma drehte sich um und blickte verblüfft auf die Tür.
    »Eine ganz gewöhnliche Tür, stimmt’s? Nicht verschlossen. Geht auf und zu wie jede Tür. Probieren Sie’s. Sie haben meine Haushälterin hereinkommen und hinausgehen sehen, nicht wahr? Los, stehen Sie auf. Tun Sie, was ich Ihnen sage.«
    Norma erhob sich zögernd und öffnete die Tür. Auf der Schwelle blieb sie stehen und sah ihn fragend an.
    »Gut. Was ist da draußen? Ein Korridor, der mal gestrichen werden müsste. Aber das lohnt sich nicht mehr, weil ich nach Australien auswandere. So, jetzt gehen Sie zur Haustür, machen sie auf und laufen hinaus auf die Straße. Dann werden Sie wohl kapieren, dass Sie frei sind und keiner Sie einsperren will. Wenn Ihnen das ganz klar ist, können Sie wiederkommen, sich auf den Sessel da setzen und mir erzählen, was los ist. Danach kann ich Ihnen einen Rat geben, den Sie aber nicht befolgen müssen. Alles klar? Sind Sie einverstanden?«
    Norma schritt über die Schwelle in den Korridor, öffnete die Haustür, die kein Schnappschloss hatte, und stand nun auf dem Bürgersteig. Sie wusste nicht, dass der Arzt sie durch einen Spalt im Vorhang beobachtete. Nach zwei Minuten machte sie kehrt und kam in das Behandlungszimmer zurück.
    »Glauben Sie mir jetzt, dass ich nichts Böses im Schilde führe? Sind Sie überzeugt?«
    Sie nickte.
    »Fein. Setzen Sie sich. Machen Sie sich’s gemütlich. Rauchen Sie?«
    »Ja, aber…«
    »Nur Marihuana oder so? Keine Sorge, Sie brauchen mir das nicht zu erzählen.«
    »Natürlich rauche ich kein solches Zeug!«
    »Dass das so ›natürlich‹ ist, hätte ich nicht ohne Weiteres angenommen. Aber man muss seinen Patienten Glauben schenken. Und nun fangen Sie mal an.«
    »Ich weiß nichts. Eigentlich gibt es nichts zu erzählen… Muss ich mich denn nicht auf die Couch legen?«
    »Ach, Sie meinen, Sie sollten sich an Träume erinnern? Nein, das brauchen Sie nicht. Ich möchte nur mal die Vorgeschichte hören. Wo Sie geboren sind, ob Sie auf dem Land oder in der Stadt gelebt haben, ob Sie Geschwister haben und so weiter. Hat der Tod Ihrer Mutter Sie sehr stark erschüttert?«
    »Aber natürlich«, sagte Norma fast beleidigt.
    »Ihre Vorliebe für das Wort ›natürlich‹ grenzt ans Unnatürliche, Miss West. Das ist doch nicht Ihr richtiger Name? Nein, regen Sie sich nicht auf. Von mir aus können Sie sich West, Ost oder Nord nennen. Also was passierte nach dem Tod Ihrer Mutter?«
    »Sie war schon vorher lange krank und oft in Sanatorien. Ich wohnte bei einer alten Tante in Devonshire. Vor etwa einem halben Jahr ist mein Vater zurückgekommen. Ich – ich habe mich so gefreut.« Sie sah den klugen, prüfenden Blick nicht, den der scheinbar so unbeteiligte junge Arzt ihr zuwarf. »Ich konnte mich kaum noch an ihn erinnern. Er ist ins Ausland gegangen, als ich fünf war. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn nochmal wieder zu sehen. Und Mutter hat fast nie von ihm gesprochen. Ich glaube, dass sie anfangs gehofft hat, er würde sich von der anderen trennen und zu ihr zurückkehren.«
    »Von welcher anderen?«
    »Er ist mit einer anderen Frau weggegangen.«
    »Hat Ihr Vater sie geheiratet?«
    »Nein. Mutter wollte sich nicht scheiden lassen.«
    »Wie hieß die Frau?«
    »Ich kann mich nicht an ihren Nachnamen erinnern.« Norma schüttelte den Kopf. »Die beiden sind nach Südafrika gegangen, müssen sich dort aber bald getrennt haben. Trotzdem ist er nicht zurückgekommen; er hat nicht mal geschrieben. Auch mir nicht. Nur zu Weihnachten kriegte ich immer Geschenke.«
    »Also hatte er Sie sehr gern?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann’s nicht sagen. Niemand hat über ihn gesprochen. Bloß Onkel Simon – das war sein Bruder. Der hatte ein Geschäft in der City und war böse auf Vater, weil er alles im Stich gelassen hat. Er wäre schon immer so gewesen, sagte er. Vater wäre so unstet, aber sonst ein anständiger

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