Die vergessliche Mörderin
unterzeichnet.
Sehr geehrter Monsieur Poirot,
ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich unter der oben g e nannten Adresse möglichst bald aufsuchen könnten. Meine Frau hat mir von Ihnen erzählt, und ich habe in London Erkundigu n gen über Sie eingezogen. Ich weiß, dass Sie überall vollstes Ve r trauen genießen und über jeden Au f trag den Sie akzeptieren, strengstes Stillschweigen bewahren. Ich sehe Ihrem Besuch entg e gen.
Ihr sehr ergebener
Andrew Restarick
»Wann haben Sie diesen Brief erhalten?«, fragte er.
»Heute Früh. Da ich gerade nichts Eiliges vorhatte, bin ich sofort zu Ihnen gekommen.«
»Monsieur Poirot, diesen Brief habe ich nicht geschrieben.«
»Sie haben ihn nicht geschrieben?«
»Nein. Meine Unterschrift ist ganz anders. Bitte, überzeugen Sie sich selbst.« Ohne weiter nachzudenken, drehte er das Scheckheft um, auf das er soeben seinen Namenszug gesetzt hatte. »Sehen Sie, Monsieur Poirot? Die Unterschrift auf Ihrem Brief stammt nicht von mir.«
»Merkwürdig. Außerordentlich merkwürdig! Wer kann mir dann diesen Brief geschrieben haben?«
»Das möchte ich auch gern wissen.«
»Und – entschuldigen Sie – Ihre Frau kann es nicht gewesen sein?«
»Nein. So etwas würde Mary nie tun. Und warum sollte sie mit meinem Namen unterzeichnen? Ausgeschlossen! Sie hätte mir das doch gesagt, wenn sie Ihnen geschrieben hätte, hätte mir Ihren Besuch angekündigt.«
»Dann wissen Sie auch nicht, warum mir jemand diesen Brief geschrieben hat?«
»Nein.«
»Und Sie können mir auch nicht sagen, Mr Restarick, weswegen ich, diesem Brief nach, von Ihnen engagiert werden sollte?«
»Nein. Woher sollte ich das wissen?«
»Oh, verzeihen Sie«, sagte Poirot, »Sie haben den Brief ja noch gar nicht ganz gelesen. Es steht noch etwas auf der Rückseite.«
Restarick drehte das Blatt um.
Die Angelegenheit, über die ich mich mit Ihnen beraten möchte, b e trifft meine Tochter Norma.
Restaricks Gesicht färbte sich dunkler. »Das ist es also! Aber wer weiß davon etwas – wer könnte sich denn in diese Angelegenheit einmischen?«
»Kann es sein, dass jemand Sie dazu bewegen will, sich an mich zu wenden? Ein Freund vielleicht? Haben Sie wirklich keine Ahnung, wer der Schreiber sein könnte?«
»Nein, nicht die mindeste.«
»Und Sie haben auch keine Sorgen mit Töchtern – mit einer Tochter namens Norma?«
»Ich habe eine Tochter Norma. Meine einzige Tochter.«
Beim letzten Satz veränderte sich Restaricks Tonfall kaum merklich.
»Und gibt sie einen Anlass zur Besorgnis?«
»Nicht dass ich wüsste.« Er zögerte etwas.
Poirot beugte sich vor. »Das glaube ich nicht ganz, Mr Restarick. Ich glaube vielmehr, dass Sie sich Sorgen machen, dass es da ein Problem gibt…«
»Wie kommen Sie darauf? Hat jemand mit Ihnen über Norma gesprochen?«
»Nein, ich habe nur sehr aufmerksam zugehört, Monsieur. Viele Eltern haben Kummer mit ihren Töchtern. Heutzutage entwickeln die jungen Damen entschieden Talent, von einer Schwierigkeit in die andere zu geraten. Warum sollte das hier nicht auch der Fall sein?«
Restarick blieb einige Zeit stumm. Er trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. »Ja«, sagte er endlich, »ich mache mir Sorgen um Norma. Sie ist ein schwieriges Mädchen. Neurotisch, fast hysterisch. Und ich – ich kenne sie bedauerlicherweise nur wenig.«
»Vermutlich ist ein junger Mann im Spiel?«
»Ja, das auch, aber darüber rege ich mich nicht so sehr auf. Ich glaube…« Er betrachtete Poirot abschätzend. »Kann ich mich auf Ihre Diskretion verlassen?«
»Wäre ich sonst so erfolgreich?«
»Ich weiß nicht, wo meine Tochter ist.«
»Ach?«
»Letztes Wochenende war sie noch bei uns auf dem Land. Am Sonntagabend ist sie wie gewöhnlich nach London zurückgekehrt. Wie wir glaubten, in die Wohnung, die sie mit zwei jungen Mädchen teilt. Aber ich habe jetzt erfahren, dass sie dort nicht aufgetaucht ist. Wo sie ist, weiß ich nicht.«
»Dann ist sie also verschwunden?«
»Das klingt sehr dramatisch, aber darauf läuft es leider hinaus. Vermutlich findet sich eine ganz natürliche Erklärung, trotzdem wäre wohl jeder Vater beunruhigt. Sie hat übrigens nicht angerufen und ihren Hausgenossinnen nichts gesagt.«
»Sind die auch besorgt?«
»Nein, ich glaube nicht. Sie – na ja, sie finden nichts dabei. Diese modernen Mädchen sind so selbstständig. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich vieles verändert.«
»Und was ist mit dem jungen
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