Die vergessliche Mörderin
jungen Mann freikaufen wollen –, und der junge Mann musste bereit gewesen sein, sich auszahlen zu lassen! Schon wieder etwas, das nicht passte. Der Scheck war für David Baker gewesen, und der Betrag war sehr hoch – unwahrscheinlich hoch sogar. Trotzdem hatte er Norma am Tag zuvor einen Heiratsantrag gemacht. War das vielleicht nur ein Schachzug gewesen, um den Preis in die Höhe zu treiben? Poirot sah Restaricks zusammengekniffenen Mund vor sich. Er musste seine Tochter sehr lieben, um eine solche Summe zu bezahlen, und er musste große Angst davor gehabt haben, dass sie diese Ehe unbedingt eingehen wollte.
Von Restarick kam er auf Claudia. War es reiner Zufall, dass sie seine Sekretärin geworden war? Gab es zwischen ihnen eine Verbindung? Drei Mädchen in einer Wohnung, in Claudia Reece-Hollands Wohnung. Sie hatte sie mit einer Freundin geteilt, und dann war noch ein Mädchen dazugekommen, das dritte Mädchen. Das dritte Mä d chen, dachte Poirot. Ja, darauf lief es immer wieder hinaus. Seine Suche nach einem Muster führte zu Norma Restarick.
Was hielten die anderen von ihr? Claudia Reece-Holland zum Beispiel? Er wusste es nicht. Auf jeden Fall hatte sie das Mädchen nicht an die Luft gesetzt, was sicher naheliegend gewesen wäre, wenn sie eine Geisteskrankheit befürchtete. Außerdem hatte sie offenbar nicht viel mit Frances Cary darüber gesprochen, sonst hätte die sich nicht so leicht verplappert und zugegeben, dass Norma nicht zurückgekehrt war. Darüber hatte Claudia sich geärgert. Möglich, dass sie viel tiefer in diesen Fall verstrickt war, als es den Anschein hatte. Sie war klug und tüchtig… Poirot kam wieder auf das dritte Mädchen, kam wieder auf Norma.
Er hatte für sie getan, was er konnte, aber genügte das? Was hatte er unternommen, seit sie ihn um Hilfe gebeten hatte? Er beantwortete sich die Frage sofort. Er hatte sie in Sicherheit g e bracht. Wenigstens das. Falls sie überhaupt in Sicherheit gebracht werden musste. Das war der Angelpunkt. War sie überhaupt in Gefahr? Dieses unglaubliche Geständnis! Nein, kein Geständnis, eher eine Ankündigung: »Ich habe vielleicht einen Mord begangen.«
Ja, das war der Angelpunkt. Ein Mord war angekündigt. Er hatte ihn gesucht und nicht gefunden. Arsen in der Suppe? Junge Rowdys, die mit Messern aufeinander losgingen? Blutspuren auf dem Hof? Ein Schuss aus einem Revolver. Warum und auf wen? Nichts davon passte zu den Worten: »Vielleicht habe ich einen Mord begangen.«
Und dann hatte Ariadne Oliver ihm durch eine beiläufige Bemerkung den Weg gezeigt. Der vermeintliche Selbstmord einer Frau in den Borodene Mansions. Das passte. Dort wohnte das dritte Mädchen. Das musste der Mord sein, den sie gemeint hatte.
Poirot nahm den maschinegeschriebenen Lebenslauf der Mrs Charpentier zur Hand.
Dreiundvierzig, gut situiert, zwei Ehen, zwei Scheidungen – eine Frau, die etwas für Männer übrig hatte. Eine Frau, die zuletzt zu viel getrunken hatte. Eine Frau, die gern auf Partys ging und sich mit wesentlich jüngeren Männern eingelassen hatte. Eine Frau, die glaubte, Krebs zu haben, und sich in einem Anfall von Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt hatte? Aber der Obduktionsbefund widerlegte ihre Befürchtung eindeutig…
Und wo war eine Verbindung zu Norma Restarick? Poirot las den trockenen Bericht nochmals gründlich durch.
Ein Anwalt hatte die Tote identifiziert. Louise Carpenter – warum hatte sie sich Charpentier genannt? Weil das besser zu ihrem Vornamen passte? Zu Louise? Warum kam ihm der Name Louise nur so bekannt vor? Er blätterte wieder in den Papieren. Da war es! Die Frau, mit der Andrew Restarick nach Afrika gegangen war, hieß Louise Birell. Kein Zweifel – Louise Charpentier war die frühere Louise Birell.
Aber selbst wenn das stimmte, wie passte es zu Norma? Hatten Restarick und Louise Charpentier sich nach seiner Rückkehr wiedergesehen? Poirot bezweifelte es. Seine jetzige Frau konnte kaum so eifersüchtig auf die Vergangenheit ihres Mannes sein, dass sie seine ehemalige Geliebte aus dem Fenster stieß. Das Telefon klingelte. Poirot rührte sich nicht. In diesem Augenblick konnte er keine Störung ertragen. Nicht jetzt, da er das Gefühl hatte, eine Spur gefunden zu haben… Er wollte nicht abgelenkt werden…
Die Tür ging auf, und Miss Lemon kam herein. »Mrs Oliver möchte Sie unbedingt sprechen.«
Poirot winkte ab. »Nein, ich kann jetzt nicht.«
»Sie sagt, ihr sei gerade etwas sehr Wichtiges eingefallen. Sie
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