Die vergessliche Mörderin
an, und sie starrte Miss Jacobs an.
Dann sagte sie mit leiser, nachdenklicher Stimme, als beantworte sie eine Frage: »Ja, ich habe ihn getötet… Das Blut an meinen Händen stammte von dem Messer… Ich wollte mich im Bad waschen… aber das lässt sich gar nicht abwaschen, nicht wahr? Und dann bin ich wieder hereingekommen, um nachzusehen, ob es wirklich stimmt… Aber es stimmt… Armer David… Wahrscheinlich musste ich es tun.«
Der Schock gab Miss Jacobs merkwürdige Worte ein. »So? Und warum mussten Sie es tun?«
»Ich weiß nicht… Wenigstens – doch, ich glaube, ich weiß es. Er war verzweifelt. Er hat mich gerufen – und ich bin gekommen… Aber ich wollte frei von ihm sein. Ich wollte von ihm fort. Ich habe ihn gar nicht richtig geliebt.«
Sie legte das Messer vorsichtig auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. »Man sollte es nicht«, sagte sie. »Man sollte niemand hassen… Das darf man nicht, weil man nie weiß, wozu man fähig ist… Wie bei Louise…«
Plötzlich fragte sie ganz ruhig: »Wollen Sie nicht die Polizei anrufen?«
Miss Jacobs wählte gehorsam 999.
In dem Zimmer mit dem Harlekin an der Wand waren nun sechs Menschen. Es war viel Zeit vergangen. Die Polizei war gekommen und wieder gegangen.
Andrew Restarick saß wie betäubt da. Er wiederholte immer wieder: »Ich kann es nicht glauben…« Der Anruf hatte ihn im Büro erreicht, und Claudia Reece-Holland hatte ihn begleitet. Auf ihre ruhige Art hatte sie alles Notwendige erledigt: nach Mary Restarick herumtelefoniert; Frances Cary mit einem Beruhigungsmittel zu Bett gebracht.
Hercule Poirot und Mrs Oliver saßen nebeneinander auf dem Sofa. Sie waren gleichzeitig mit der Polizei eingetroffen.
Nachdem fast alle wieder fort waren, erschien ein stiller, höflicher grauhaariger Mann: Chefinspektor Neele von Scotland Yard. Er hatte Poirot mit einem Kopfnicken begrüßt und sich Andrew Restarick vorgestellt. Ein großer, rothaariger junger Mann stand am Fenster und sah auf den Hof hinunter.
»Wenn ich gehen soll…«, sagte Mrs Oliver unsicher.
»Sie sind Mrs Ariadne Oliver? Nein, bleiben Sie doch bitte hier. Ich weiß, dass das für Sie sehr unangenehm war…«
»Es kommt mir so unwirklich vor.« Mrs Oliver schloss die Augen. Sie sah wieder alles vor sich: den Pfau, der noch im Tod so pittoresk war, als sei er auf der Bühne gestorben. Und das Mädchen – eine völlig veränderte Norma, die sich mit Würde und Gelassenheit in ihr Schicksal fügte.
Poirot hatte gefragt, ob er zwei Telefongespräche führen dürfe. Eines mit Scotland Yard; es war ihm genehmigt worden, nachdem der Sergeant voller Argwohn selbst die Verbindung hergestellt hatte. Er hatte Poirot zum Apparat in Claudias Schlafzimmer gebracht und die Tür hinter sich geschlossen.
Nachdem er telefoniert hatte, machte Poirot die Tür wieder auf und winkte Mrs Oliver, die verlassen in der Küche herumstand. Sie setzten sich nebeneinander auf Claudias Bett.
»Wenn wir doch nur etwas tun könnten«, sagte Mrs Oliver.
»Geduld, Madame.«
»Aber Sie müssen doch etwas unternehmen können?«
»Das habe ich bereits. Ich habe die Leute angerufen, die Bescheid wissen mussten. Jetzt müssen wir warten, bis die Polizei mit ihrer Untersuchung fertig ist.«
»Wen haben Sie außer dem Inspektor noch angerufen? Den Vater? Kann der sie nicht vielleicht gegen Kaution frei bekommen?«
»Bei Mord geht das nicht«, sagte Poirot trocken. »Die Polizei hat ihren Vater schon benachrichtigt. Miss Cary kannte seine Telefonnummer.«
»Wo ist die denn?«
»Soviel ich gehört habe, ist sie nebenan in der Wohnung von Miss Jacobs. Hat einen hysterischen Anfall gehabt. Sie hat die Leiche entdeckt, und das scheint sie umgeschmissen zu haben. Sie ist schreiend aus der Wohnung gerannt.«
»Sie ist die Künstlerin, nicht wahr? Claudia hätte den Kopf nicht verloren.«
»Nein, die nicht. Eine sehr beherrschte junge Frau.«
»Wen haben Sie denn nun angerufen?«
»Dr. John Stillingfleet.«
»Wer ist das? Soll er sagen, dass die arme Norma verrückt ist und nichts dafürkann?«
»Wenn es sein muss, könnte er sehr wohl als Gutachter vor Gericht auftreten.«
»Kennt er sie denn?«
»Oh, sehr gut. Sie ist seit dem Tag, an dem Sie sie in dem Café gefunden haben, in seiner Obhut gewesen.«
»Und wie kam sie zu ihm?«
Poirot lächelte. »Durch mich. Ich habe ein bisschen herumtelefoniert, ehe ich damals zu dem Café gefahren bin.«
»Wie? Und ich war so enttäuscht von Ihnen und
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