Die vergessliche Mörderin
drei Spalten. Eine Dame, die ihren Pelzmantel anpries… Mitfahrer für Auslandsreise gesucht… Reizendes, modernes Haus zu verkaufen… Ferienwohnung zu vermieten… Zurückgebliebene Kinder… Selbstgemachte Pralinen… »Julia, ich werde dich nie vergessen! Dein auf ewig.« Ja, das passte schon besser, aber dann wanderte sein Blick doch weiter zu: Louis XV.-Möbel… Erfahrene Dame zur Leitung eines Hotels gesucht… »Verzweifelt in So r ge. Muss dich sehen. Komm in die Wohnung. Erwarte dich. 16 Uhr 30. Stichwort: G o liath.«
Er rief: »George, ein Taxi!«, und hörte es im selben Augenblick klingeln. Er kümmerte sich nicht darum, zog den Mantel an und rannte gerade zur Tür, als George sie öffnete. Mrs Oliver, George und Hercule Poirot stießen in dem winzigen Vorraum unsanft zusammen.
22
F rances Cary, die ein kleines Köfferchen trug, ging durch die Mandeville Road und unterhielt sich mit einer Freundin, die sie an der Ecke getroffen hatte.
»Dass du’s in dem Kasten aushältst, Frances! Mir kommt er immer wie ein Frauengefängnis vor.«
»Blödsinn, Eileen. Die Wohnungen sind sagenhaft bequem. Und mit Claudia habe ich auch ein Mordsglück gehabt – mit der gibt’s nie Ärger. Sie hat sogar eine erstklassige Putzfrau, und die Wohnung ist immer tadellos in Ordnung.«
»Seid ihr nur zu zweit? Hattet ihr nicht mal ein drittes Mädchen?«
»Hatten wir auch, aber die scheint uns im Stich zu lassen.«
»Wieso? Zahlt sie ihre Miete nicht?«
»Doch, das schon, soviel ich weiß. Aber sie muss wohl einen Freund haben. Sie ist auf und davon.«
Eileen verlor das Interesse. Ein Freund war eine zu natürliche Erklärung.
»Woher kommst du denn jetzt?«
»Aus Manchester. Wir hatten mal wieder eine Ausstellung. Großer Erfolg übrigens.«
»Und im nächsten Monat gehst du nach Wien?«
»Ja, sieht ganz so aus. Ich freue mich schon darauf.«
»Und was passiert, wenn eure Bilder gestohlen werden?«
»Ach, die sind versichert«, sagte Frances wegwerfend. »Die wirklich guten jedenfalls.«
»Hat dein Freund Peter mit seiner Ausstellung Erfolg gehabt?«
»Nicht so doll, leider. Aber er hat eine gute Besprechung im Artist bekommen, und das ist viel wert.«
Frances verabschiedete sich vor dem Eingang zu den Borodene Mansions von ihrer Freundin, nickte dem Portier zu und fuhr mit dem Lift in den sechsten Stock. Während sie durch den Flur ging, summte sie leise vor sich hin, dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss. In der Diele war es dunkel. Claudia würde erst in etwa anderthalb Stunden aus dem Büro kommen. Im Wohnzimmer aber brannte Licht, und die Tür stand offen.
»Komisch«, sagte Frances laut. »Da brennt Licht.«
Sie zog den Mantel aus, setzte den kleinen Koffer ab, stieß die Wohnzimmertür weiter auf und ging hinein…
Sie blieb stocksteif stehen. Ihr Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Sie stand wie gelähmt und starrte auf die Gestalt, die auf dem Fußboden lag, dann hob sie den Blick und sah ihr eigenes schreckverzerrtes Gesicht im Spiegel an der Wand…
Endlich bekam sie wieder Luft, löste sich aus der Erstarrung, warf den Kopf zurück und schrie. Sie stolperte über den kleinen Koffer, stieß ihn fort, rannte hinaus und hämmerte mit beiden Fäusten an die Tür der Nachbarwohnung.
Eine ältere Frau machte ihr auf. »Was um alles in der Welt…?«
»Ein Toter… er ist tot. Und ich glaube, es ist… David Baker. Er liegt auf dem Fußboden… Ich glaube, er ist erstochen worden… überall ist Blut.« Sie begann wild zu schluchzen. Miss Jacobs schüttelte sie, beruhigte sie, drückte sie aufs Sofa und sagte energisch:
»Fassen Sie sich. Hier ist ein Cognac.« Sie gab ihr ein Glas in die Hand. »Bleiben Sie sitzen und trinken Sie das!«
Frances nippte gehorsam. Miss Jacobs lief über den Flur und durch die offene Tür in das Wohnzimmer, aus dem der Lichtschein fiel.
Sie gehörte nicht zu den Frauen, die laut schreien. Sie blieb auf der Schwelle stehen und presste die Lippen zusammen.
Auf dem Fußboden lag mit weit ausgebreiteten Armen ein hübscher junger Mann, dessen kastanienbraune Locken bis auf die Schultern fielen. Er trug ein rotes Samtjackett, und sein weißes Hemd war blutgetränkt.
Plötzlich merkte sie voller Entsetzen, dass sie nicht allein im Zimmer war. Ein Mädchen stand eng an die Wand gepresst. Sie hatte ein weißes, wollenes Sackkleid an, das hellbraune, glatte Haar hing ihr ins Gesicht. In der Hand hielt sie ein Küchenmesser.
Miss Jacobs starrte sie
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