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Die vergessliche Mörderin

Die vergessliche Mörderin

Titel: Die vergessliche Mörderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wie dicht neben ihm jemand tief Luft holte, drehte sich aber nicht um. Er öffnete den Beutel vorsichtig und hielt eine goldblonde, kunstvoll frisierte Perücke hoch. »Mrs Restarick ist nicht hier, wohl aber ihre Perücke. Interessant, nicht wahr?«
    »Wo hast du die her, Poirot?«, fragte Neele überrascht.
    »Aus dem kleinen Koffer von Miss Frances Cary. Sie hatte bisher nicht die Möglichkeit, sie fortzuschaffen. Sollen wir mal sehen, wie sie ihr steht“!« Mit einer raschen, geschickten Bewegung strich er das schwarze Haar zurück, das das Gesicht von Frances so gut verbarg. Ehe sie sich wehren konnte, hatte er ihr die goldene Perücke übergestülpt, unter deren schwerer Pracht sie sie wütend anstarrte.
    »Guter Gott!«, rief Mrs Oliver. »Das ist ja Mary Restarick!«
    Frances wand sich wie eine gereizte Schlange. Restarick sprang auf, aber Neele hielt ihn eisern fest.
    »Nein. Lassen Sie das! Das Spiel ist aus, Mr Restarick – oder soll ich Sie lieber Robert Orwell nennen?«
    Der Mann fluchte unflätig. »Sei doch still, du verdammter Idiot!«, schrie Frances mit schriller Stimme.
     
    Poirot hatte seine Trophäe, die Perücke, achtlos beiseitegelegt. Er stand vor Norma und ergriff behutsam ihre Hand.
    »Ihr Leidensweg ist zu Ende, mein Kind. Sie sind nicht verrückt, und Sie haben auch niemand ermordet. Diese beiden grausamen, gefühllosen Menschen haben sich gegen Sie verschworen. Sie haben Sie belogen und Ihnen Rauschgift eingegeben und alles versucht, Sie zum Selbstmord zu treiben oder Sie glauben zu machen, dass Sie verrückt und schuldig wären.«
    Norma sah entsetzt auf den Mann. »Mein V a ter… Mein Vater? Das soll er mir angetan haben? Mir, seiner Tochter? Mein Vater hat mich doch geliebt…«
    »Nein, nicht Ihr Vater, Kind. Ein Mann, der nach dem Tod Ihres Vaters seine Rolle weitergespielt hat, um das riesige Vermögen an sich zu bringen. Und nur ein Mensch konnte ihn erkennen – oder vielmehr erkennen, dass er nicht Andrew Restarick war: die Frau, die vor fünfzehn Jahren Andrew Restaricks Geliebte gewesen ist.«

25
     
    I n Poirots Wohnzimmer waren vier Menschen versammelt. Poirot thronte in seinem Ohrensessel und trank Johannisbeersaft. Norma und Mrs Oliver saßen auf dem Sofa. Mrs Oliver trug ein festliches apfelgrünes Brokatkleid, das ihr besonders schlecht stand. Ihre Frisur war ausgesucht kompliziert. Dr. Stillingfleet lag mit weit ausgestreckten Beinen in einem Sessel. »Und jetzt möchte ich endlich mal wissen, wie alles gewesen ist«, sagte Mrs Oliver vorwurfsvoll.
    Poirot goss Öl auf die Wogen. »Chère Madame, sofort. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie tief ich in Ihrer Schuld stehe. Alle, aber auch alle guten Ideen stammten von Ihnen.«
    Mrs Oliver warf ihm einen zweifelnden Blick zu.
    »Habe ich nicht von Ihnen den Ausdruck ›drittes Mädchen‹ gelernt? Damit habe ich begonnen – und damit habe ich auch geendet –, mit dem dritten Mädchen in dieser Wohngemeinschaft. Ja, sicher technisch war Norma wohl das ›dritte Mädchen‹ – aber als ich die Dinge vom richtigen Blic k punkt aus betrachtete, klärten sie sich. Die unbeantwortete Frage, der fehlende Stein des Puzzlespiels, alles führte immer zu einer Person – zu dem dritten Mädchen. Es war stets das Mädchen, das nicht da war. Für mich war sie nur ein Name, sonst nichts.«
    »Ich möchte wissen, warum ich sie nie mit Mary Restarick in Verbindung gebracht habe«, sagte Mrs Oliver. »Ich habe Mary Restarick bei der Cocktail-Party gesehen und mit ihr gesprochen. Aber natürlich, als ich Frances Cary kennen lernte, hatte sie schwarze Haare, die ihr ins Gesicht fielen. Ich konnte nicht darauf kommen!«
    »Und wiederum, Madame, waren Sie es, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, wie leicht eine Frau durch eine andere Frisur ihr Äußeres verändern kann. Frances Cary hatte eine Schauspielschule besucht. Sie konnte sich sehr schnell umschminken, und sie konnte ihre Stimme verstellen. Als Frances hatte sie langes, schwarzes Haar, das ihr ins Gesicht fiel, ein totenblasses Make-up, dunkle Augenbrauen und viel Wimperntusche, und sie sprach mit einer heiseren, gedehnten Stimme. Mary Restarick mit der blonden, komplizierten Lockenfrisur, der strengen Kleidung, dem leichten südafrikanischen Akzent und dem sicheren Auftreten war das genaue Gegenteil. Aber man hatte bei ihr von Anfang an das Gefühl, dass sie etwas unwirklich war. Ich wurde mir über sie nicht klar… Bei ihr hat mein Scharfsinn versagt. Nein – ich,

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