Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Person gewechselten
Worte läßt Rückschlüsse auf einen Code zu. Ich lasse mir aber nicht einreden, daß
die Blum ebenfalls ein Zufallskontakt war. Ihr Telefongespräch mit der Scheumel,
die Pünktlichkeit, mit der sie bei der Woltersheim auftauchte, auch die verfluchte
Innigkeit und Zärtlichkeit, mit der die beiden von der ersten Sekunde an getanzt
haben – und wie rasch sie dann miteinander abgezischt sind – alles spricht gegen
Zufall. Vor allem aber die Tatsache, daß sie ihn angeblich ohne Abschied hat
gehen lassen und ihm ganz offensichtlich einen Weg aus dem Wohnblock gezeigt
hat, der unserer strengen Überwachung entgangen sein muß. Wir haben den
Wohnblock, das heißt das Gebäude innerhalb des Wohnblocks, in dem sie wohnt,
keinen Augenblick aus dem Auge verloren. Natürlich konnten wir nicht das
gesamte Areal von fast eineinhalb Quadratkilometern total überwachen. Sie muß
einen Fluchtweg gekannt und ihn ihm gezeigt haben, außerdem bin ich sicher,
daß sie für ihn – und möglicherweise für andere – als Quartiermacherin fungiert
hat und genau weiß, wo er sich befindet. Die Häuser ihrer Arbeitgeber sind schon
gecheckt worden, wir haben in ihrem Heimatdorf Recherchen angestellt, die
Wohnung von Frau Woltersheim ist, während sie hier vernommen wurde, noch
einmal gründlich untersucht worden. Nichts. Mir scheint es am besten, sie frei
umherlaufen zu lassen, damit sie einen Fehler begeht, und wahrscheinlich führt
die Spur zu seinem Quartier über diesen ominösen Herrenbesuch, und ich bin
sicher, daß die Spur zum Fluchtweg innerhalb des Wohnblocks über Frau Blorna
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führt, die wir ja inzwischen auch als die »rote Trude« kennen und die an der
Planung des Blocks mitgewirkt hat.«
34.
Hier sollte erkannt werden, daß der erste Rückstau fast beendet ist, man vom
Freitag wieder zum Samstag gelangt. Es wird alles getan werden, weitere
Stauungen, auch überflüssigen Spannungsstau zu vermeiden. Ganz vermieden
werden können sie wahrscheinlich nicht.
Es mag doch vielleicht aufschlußreich sein, daß Katharina Blum nach der
abschließenden Vernehmung am Freitagnachmittag Else Woltersheim und
Konrad Beiters bat, sie doch zunächst in ihre Wohnung zu fahren und – bitte,
bitte – mit hinaufzugehen. Sie gab an, daß sie Angst habe, es sei ihr nämlich
in jener Donnerstagnacht, kurz nachdem sie mit Götten telefoniert habe
(jeder Außenstehende sollte an der Tatsache, daß sie, wenn auch nicht bei der
Vernehmung, offen über ihre telefonischen Kontakte mit Götten sprach, ihre
Unschuld erkennen!), etwas ganz und gar Scheußliches passiert. Kurz nachdem
sie mit Götten telefoniert, den Hörer gerade aufgelegt habe, habe wieder das
Telefon geklingelt, sie habe, in der »wilden Hoffnung«, es sei wieder Götten,
sofort den Hörer abgenommen, aber es sei nicht Götten am Apparat gewesen,
sondern eine »fürchterlich leise« Männerstimme habe ihr »fast flüsternd« lauter
»gemeine Sachen« gesagt, schlimme Dinge, und das schlimmste sei, der Kerl
habe sich als Hausbewohner ausgegeben und gesagt, warum sie, wenn sie so auf
Zärtlichkeit aus sei, so weit hergeholte Kontakte suche, er sei bereit und auch in
der Lage, ihr jede, aber auch jede Art von Zärtlichkeit zu bieten. Ja, es sei dieser
Anruf der Grund gewesen, warum sie noch in der Nacht zu Else gekommen sei.
Sie habe Angst, sogar Angst vor dem Telefon, und da Götten ihre, sie aber nicht
Göttens Telefonnummer habe, hoffe sie immer noch auf einen Anruf, fürchte
aber gleichzeitig das Telefon.
Nun, es soll hier nicht vorenthalten werden, daß der Blum weitere Schrecken
bevorstanden. Zunächst einmal: ihr Briefkasten, der bisher in ihrem Leben eine
sehr geringe Rolle gespielt, in den sie meistens nur, »weil mans eben tut«, aber
ohne Erfolg hineingeschaut hatte. An diesem Freitagmorgen quoll er regelrecht
über, und keineswegs zu Katharinas Freude. Denn, obwohl Else W. und Beiters
alles taten, um Briefe, Drucksachen abzufangen, ließ sie sich nicht beirren,
schaute, wohl in der Hoffnung auf ein Lebenszeichen von ihrem lieben Ludwig,
alle Postsachen – insgesamt etwa zwanzig – durch, offenbar ohne etwas von
Ludwig zu finden, und stopfte den Kram in ihre Handtasche. Schon die Fahrt
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im Aufzug war eine Qual, da zwei Mitbewohner ebenfalls hochfuhren. Ein (es
muß gesagt
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