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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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nicht genannt worden, aber
    vielleicht solltest du doch Maud anrufen, die sicher erregt und trostbedürftig
    ist. Übrigens hat man gleichzeitig mit Götten an anderen Orten drei seiner
    angeblichen Komplizen geschnappt. Das ganze gilt als triumphaler Erfolg eines
    gewissen Kommissars Beizmenne. Und nun mach dich auf die Socken, lieber
    Alois, und statte zur Abwechslung deiner guten Frau mal einen Herrenbesuch
    ab.«
    Man kann sich vorstellen, daß es an dieser Stelle in Blornas Arbeitszimmer
    fast zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre, die dem Milieu
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    und der Ausstattung des Raumes keineswegs entsprachen. Sträubleder soll – soll
    – tatsächlich versucht haben, Trude Blorna an die Kehle zu springen, von ihrem
    Mann aber daran gehindert und drauf hingewiesen worden sein, daß er sich an
    einer Dame doch nicht vergreifen wolle. Sträubleder soll – soll – daraufhin gesagt
    haben, er sei nicht sicher, ob die Definition Dame auf eine so scharfzüngige Frau
    noch zutreffe, und es gebe eben Worte, die man in gewissen Zusammenhängen
    und vor allem, wenn tragische Ereignisse vermeldet würden, nicht ironisch
    verwenden dürfe, und wenn er noch einmal, noch ein einziges Mal das ominöse
    Wort zu hören bekomme, dann – ja, was dann – nun, dann sei es aus. Er hatte das
    Haus noch kaum verlassen, und Blorna hatte noch keine Gelegenheit, Trude zu
    sagen, sie sei nun doch vielleicht etwas zu weit gegangen, als diese ihm das Wort
    regelrecht abschnitt und sagte: »Katharinas Mutter ist diese Nacht gestorben. Ich
    habe sie tatsächlich in Kuir-Hochsackel aufgetrieben.«
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    Bevor die letzten Um-, Ein-, Ablenkungsmanöver gestartet werden, muß hier
    eine sozusagen technische Zwischenbemerkung gestattet werden. In dieser
    Geschichte passiert zu viel. Sie ist auf eine peinliche, kaum zu bewältigende
    Weise handlungsstark: zu ihrem Nachteil. Natürlich ist es ziemlich betrüblich,
    wenn eine freiberuflich arbeitende Hausangestellte einen Journalisten erschießt,
    und ein solcher Fall muß aufge- oder wenigstens versuchsweise erklärt werden.
    Aber was macht man mit Erfolgsanwälten, die einer Hausangestellten wegen den
    sauer verdienten Skiurlaub abbrechen? Mit Industriellen (die im Nebenberuf
    Professor und Parteimanager sind), die in einer schon unreifen Sentimentalität
    eben dieser Hausangestellten Schlüssel zu Zweitwohnungen (und sich selbst
    dazu) geradezu aufdrängen; beides ohne Erfolg, wie man weiß; die einerseits
    Publicity wollen, aber nur eine bestimmte Art; lauter Dinge und Leute, die
    einfach nicht synchronisierbar sind und dauernd den Fluß (bzw. den linearen
    Handlungsablauf) stören, weil sie sozusagen immun sind. Was macht man mit
    Kriminalbeamten, die dauernd nach Zäpfchen verlangen und sie auch bekommen?
    Kürzer gesagt: es ist alles zu durchlässig und doch im entscheidenden Augenblick
    für einen Berichterstatter nicht durchlässig genug, weil zwar das eine oder andere
    (etwa von Hach und einigen Polizeibeamten und -beamtinnen) zu erfahren ist,
    aber nichts, rein gar nichts von dem, was sie sagen, auch nur andeutungsweise
    beweiskräftig wäre, weil es vor keinem Gericht bestätigt oder auch nur ausgesagt
    würde. Es hat keine Zeugniskraft! Nicht den geringsten Öffentlichkeitswert. Zum
    Beispiel diese ganze Zäpfchenaffäre. Das Anzapfen von Telefonleitungen dient
    natürlich der Ermittlung, das Ergebnis darf aber – da es von einer anderen als
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    der ermittelnden Behörde vorgenommen wird – in einem öffentlichen Verfahren
    nicht nur nicht verwendet, nicht einmal erwähnt werden. Vor allem: was passiert
    in der sogenannten Psyche der Telefonzapfer? Was denkt sich ein unbescholtener
    Beamter, der nichts als seine Pflicht tut, der sozusagen, wenn nicht unter Befehls-,
    dann aber sicher unter Broterwerbsnotstand seine (ihm möglicherweise
    widerwärtige) Pflicht tut, was denkt er sich, wenn er mit anhören muß, wie jener
    unbekannte Hausbewohner, den wir hier kurz den Zärtlichkeitsanbieter nennen
    wollen, mit einer so ausgesprochen netten, adretten, fast unbescholtenen Person
    wie Katharina Blum telefoniert? Gerät er in sittliche oder geschlechtliche oder
    in beide Arten von Erregung? Empört er sich, hat er Mitleid, bereitet es ihm
    gar ein merkwürdiges Vergnügen, wenn da eine Person, die den Spitznamen
    »Nonne« trägt, durch heiser hingestöhnte,

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