Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
zuverlässige
    telepathische Verbindungen versagt sind, greifen sie doch zum Telefon, das ihnen
    zuverlässiger erscheint. Sind sich die vorgesetzten Behörden darüber klar, was sie
    ihren Beamten und Angestellten da psychisch zumuten? Nehmen wir einmal an,
    eine vorübergehend verdächtige Person vulgärer Natur, der man ein »Zäpfchen«
    genehmigt hat, ruft ihren ebenfalls vulgären derzeitigen Liebespartner an. Da wir
    in einem freien Land leben und frei und offen miteinander sprechen dürfen, auch
    am Telefon, was kann da einer möglicherweise sittsamen oder gar sittenstrengen
    Person – ganz gleich welchen Geschlechts – alles um die Ohren sausen oder
    vom Tonband entgegenflattern? Ist das zu verantworten? Ist die psychiatrische
    Betreuung gewährleistet? Was sagt die Gewerkschaft Öffentliche Dienste,
    Transport und Verkehr dazu ? Da kümmert man sich um Industrielle, Anarchisten,
    Bankdirektoren, -räuber und -angestellte, aber wer kümmert sich um unsere
    nationalen Tonbandstreitkräfte? Haben die Kirchen dazu nichts zu sagen. Fällt der
    Fuldaer Bischofskonferenz oder dem Zentralkomitee deutscher Katholiken denn
    58
    59
    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    gar nichts mehr ein? Warum schweigt der Papst dazu? Ahnt denn keiner, was
    hier unschuldigen Ohren alles zwischen Karamelpudding und härtestem Porno
    zugemutet wird? Da werden junge Menschen aufgefordert, die Beamtenlaufbahn
    zu ergreifen – und wem werden sie ausgeliefert? Telefonsittenstrolchen. Hier
    ist endlich ein Gebiet, wo Kirchen und Gewerkschaften zusammenarbeiten
    könnten. Man könnte doch mindestens eine Art Bildungsprogramm für Abhörer
    planen. Tonbänder mit Geschichtsunterricht. Das kostet nicht viel.
    42.
    Nun kehrt man reumütig in den Vordergrund zurück, begibt sich wieder an
    die unvermeidliche Kanalarbeit, und muß schon wieder mit einer Erklärung
    beginnen! Es war hier versprochen worden, daß kein Blut mehr fließen sollte,
    und es wird Wert darauf gelegt, festzustellen, daß mit dem Tod der Frau
    Blum, Katharinas Mutter, dieses Versprechen nicht gerade gebrochen wird. Es
    handelt sich ja nicht um eine Bluttat, wenn auch nicht um einen ganz normalen
    Sterbefall. Der Tod der Frau Blum wurde zwar gewaltsam herbeigeführt, aber
    unbeabsichtigt gewaltsam. Jedenfalls – das muß festgehalten werden – hatte
    der Todesherbeiführer weder mörderische noch totschlägerische, nicht einmal
    körperverletzende Absichten. Es handelt sich, wie nicht nur nachgewiesen,
    sondern sogar von jenem zugegeben wurde, um eben jenen Tötges, der selbst
    allerdings ein blutiges, beabsichtigt gewaltsames Ende fand. Tötges hatte schon am
    Donnerstag in Gemmelsbroich nach der Adresse von Frau Blum geforscht, diese
    auch erfahren, aber vergebens versucht, zu ihr ins Krankenhaus vorzudringen.
    Er war vom Pförtner, von der Stationsschwester Edelgard und vom leitenden
    Arzt Dr. Meinen drauf aufmerksam gemacht worden, daß Frau Blum nach einer
    schweren, aber erfolgreichen Krebsoperation sehr ruhebedürftig sei; daß ihre
    Genesung geradezu davon abhängig sei, daß sie keinerlei Aufregungen ausgesetzt
    werde und ein Interview nicht in Frage käme. Den Hinweis, Frau Blum sei durch
    die Verbindung ihrer Tochter zu Götten ebenfalls »Person der Zeitgeschichte«,
    konterte der Arzt mit dem Hinweis, auch Personen der Zeitgeschichte seien für
    ihn zunächst Patienten. Nun hatte Tötges während dieser Gespräche festgestellt,
    daß im Hause Anstreicher wirkten, und sich später Kollegen gegenüber geradezu
    damit gebrüstet, daß es ihm durch Anwendung des »simpelsten aller Tricks,
    nämlich des Handwerkertricks« – indem er sich einen Kittel, einen Farbtopf und
    einen Pinsel besorgte –, gelungen sei, am Freitagmorgen dennoch zu Frau Blum
    vorzudringen, denn nichts sei so ergiebig wie Mütter, auch kranke; er habe Frau
    Blum mit den Fakten konfrontiert, sei nicht ganz sicher, ob sie das alles kapiert
    habe, denn Götten sei ihr offenbar kein Begriff gewesen, und sie habe gesagt:
    58
    59
    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    »Warum mußte das so enden, warum mußte das so kommen?«, woraus er in der
    ZEITUNG machte: »So mußte es ja kommen, so mußte es ja enden.« Die kleine
    Veränderung der Aussage von Frau Blum erklärte er damit, daß er als Reporter
    drauf eingestellt und gewohnt sei, »einfachen Menschen Artikulationshilfe zu
    geben«.
    43.
    Es war nicht einmal mit Gewißheit zu ermitteln, ob Tötges

Weitere Kostenlose Bücher