Die verlorene Ehre der Katharina Blum
drohend vorgebrachte Angebote in
den Tiefen ihrer Seele verletzt wird? Nun, es geschieht so vieles im Vordergrund
– mehr noch im Hintergrund. Was denkt sich ein harmloser, lediglich sein sauer
verdientes Brot erwerbender Anzapfer zum Beispiel, wenn da ein gewisser
Lüding, der hier gelegentlich erwähnt wurde, die Chefredaktion der ZEITUNG
anruft und etwa sagt: »Sofort S. ganz raus, aber B. ganz rein.« Natürlich wird
Lüding nicht angezapft, weil er beobachtet werden muß, sondern weil die Gefahr
besteht, daß er – etwa von Erpressern, Polit-Gangstern etc. – angerufen wird.
Wie soll so ein unbescholtener Mithörer wissen, daß mit S. Sträubleder gemeint
ist, mit B. Blorna und daß man in der SONNTAGSZEITUNG nicht mehr über S.,
aber viel über B. wird lesen können. Und doch – wer soll das schon wissen oder
auch nur ahnen – ist Blorna ein von Lüding äußerst geschätzter Anwalt, der fast
unzählige Male sein Geschick bewiesen hat, national und international. Nichts
anderes ist gemeint, wenn hier an anderer Stelle von Quellen gesprochen worden
ist, die »zueinander nicht kommen können«, wie die Königskinder, denen die
falsche Nonne die Kerze ausblies – und irgendeiner versank da ziemlich tief,
ertrank. Und da läßt Frau Lüding durch ihre Köchin bei der Sekretärin ihres
Mannes anrufen, um herauszubekommen, was Lüding wohl am Sonntag gern
zum Nachtisch essen würde: Palatschinken mit Mohn? Erdbeeren mit Eis und
Sahne oder nur mit Eis oder nur mit Sahne, woraufhin die Sekretärin, die
ihren Chef nicht belästigen möchte, seinen Geschmack aber kennt, die aber
möglicherweise auch nur Ärger bzw. Umstände verursachen will, der Köchin mit
ziemlich spitzer Stimme erklärt, sie sei ganz sicher, daß Herr Lüding an diesem
Sonntag Karamelpudding mit Krokantsouce vorziehen würde; die Köchin,
die natürlich auch Lüdings Geschmack kennt, widerspricht und sagt, das sei
ihr neu, ob die Sekretärin sicher sei, daß sie nicht ihren eigenen Geschmack
mit dem des Herrn Lüding verwechsle, und ob sie nicht doch durchstellen
könne, damit sie direkt mit Herrn Lüding über seine Nachtischwünsche
sprechen könne. Daraufhin die Sekretärin, die gelegentlich mit Herrn Lüding
als Konferenzsekretärin unterwegs ist und in irgendwelchen PALACE-Hotels
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
oder Inter-Herbergen mit ihm ißt, behauptet, wenn sie mit ihm unterwegs sei,
esse er immer Karamelpudding mit Krokantsauce; die Köchin: aber am Sonntag
sei er eben nicht mit ihr, der Sekretärin, unterwegs und ob es nicht möglich sei,
daß Lüdings Nachtischwünsche eben abhängig seien von der Gesellschaft, in
der er sich befinde. Etc. Etc. Schließlich wird noch lange über Palatschinken mit
Mohn gestritten – und dieses ganze Gespräch wird auf Kosten des Steuerzahlers
auf Tonband aufgenommen! Denkt der Tonbandabspieler, der natürlich darauf
achten muß, ob hier nicht ein Anarchistencode verwendet worden ist, ob mit
Palatschinken nicht etwa Handgranaten und bei Eis mit Erdbeeren Bomben
gemeint sind – doch möglicherweise: die haben Sorgen oder: die Sorgen möchte
ich haben, denn ihm ist möglicherweise gerade die Tochter durchgebrannt oder
der Sohn dem Hasch verfallen oder die Miete mal wieder erhöht worden, und
das alles – diese Tonbandaufnahmen – nur, weil gegen Lüding einmal eine
Bombendrohung ausgesprochen worden ist; so erfährt ein unschuldiger Beamter
oder Angestellter endlich einmal, was Palatschinken mit Mohn sind, er, dem die
schon als Hauptmahlzeit genügen würden, wenn auch nur einer .
Es passiert zuviel im Vordergrund, und wir wissen nichts von dem, was im
Hintergrund passiert. Könnte man sich die Tonbänder mal vorspielen lassen!
Um endlich etwas zu erfahren, wie – oder ob überhaupt intim etwa Frau Else
Woltersheim mit Konrad Beiters ist. Was bedeutete das Wort Freund, wenn
es um die Beziehung dieser beiden geht? Nennt sie ihn Schatz, Liebling, oder
sagt sie nur Konrad oder Conny zu ihm; welche Art verbaler Zärtlichkeiten
tauschen sie, wenn überhaupt, miteinander aus? Singt er, von dem bekannt ist,
daß er einen guten, fast konzert-, aber mindestens chorreifen Bariton hat, ihr
vielleicht am Telefon Lieder vor? Serenaden? Schlager? Arien? Oder wird da
gar in grober Weise über vergangene oder geplante Intimitäten referiert? Das
möchte man doch gern wissen, denn da den meisten Menschen
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