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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Trude, wisse doch, daß jeder,
    nicht nur Männer, mal so Anwandlungen hätten, einfach mal jemand so in den
    Arm zu nehmen und vielleicht mehr – aber Katharina, nein, es war da etwas,
    das ihn nie, niemals zum Herrenbesuch bei ihr gemacht hätte, und wenn ihn
    etwas gehindert habe, ja es ihm unmöglich gemacht habe, zum Herrenbesuch
    zu werden – oder besser gesagt: das zu versuchen –, so wäre es nicht, und sie
    wisse, wie er das meine, nicht der Respekt vor ihr und die Rücksichtnahme auf
    sie, Trude, gewesen, sondern Respekt vor Katharina, ja, Respekt, fast Ehrfurcht,
    mehr, liebevolle Ehrfurcht vor ihrer, ja verdammt, Unschuld – und mehr, mehr
    als Unschuld, für das er keinen Ausdruck finde. Es sei wohl dieses merkwürdige,
    herzliche Kühle an Katharina und – obwohl er fünfzehn Jahre älter sei als
    Katharina und es weiß Gott im Leben zu was gebracht habe – wie Katharina
    ihr verkorkstes Leben angepackt, geplant, organisiert habe – das habe ihn, hätte
    er überhaupt je Gedanken dieser Art gehabt, gehindert, weil er Angst gehabt
    habe, sie oder ihr Leben zu zerstören – denn sie sei so verletzlich, so verdammt
    verletzlich, und er würde, wenn sich herausstellen sollte, daß Alois wirklich
    der Herrenbesuch gewesen sei, er würde ihm – schlicht gesagt – einen »in die
    Fresse hauen«; ja, man müsse ihr helfen, helfen, sie sei diesen Tricks, diesen
    Verhören, diesen Vernehmungen nicht gewachsen – und nun sei es zu spät und
    er müsse, müsse im Laufe des Tages Katharina auf treiben … aber hier wurde
    er in seinen aufschlußreichen Meditationen unterbrochen, weil Trude mit
    ihrer unvergleichlichen Trockenheit feststellte: »Der Herrenbesuch ist soeben
    vorgefahren.«
    39.
    Es soll hier gleich festgestellt werden, daß Blorna Sträubleder, der da tatsächlich in
    einem bombastischen Mietwagen vorgefahren war, nicht in die Fresse schlug. Es
    soll hier nicht nur möglichst wenig Blut fließen, auch die Darstellung körperlicher
    Gewalt soll, wenn sie schon nicht vermieden werden kann, auf jenes Minimum
    beschränkt werden, das die Pflicht der Berichterstattung auferlegt. Das bedeutet
    nicht, daß es nun etwa gemütlicher wurde bei den Blornas, im Gegenteil: es
    wurde noch ungemütlicher, denn Trude B. konnte sich nicht verkneifen, den
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    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    alten Freund, während sie weiterhin in ihrer Kaffeetasse rührte, mit den Worten
    zu begrüßen »Hallo Herrenbesuch«. »Ich nehme an«, sagte Blorna verlegen,
    »Trude hat mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.« »Ja«, sagte Sträubleder,
    »fragt sich nur, ob das immer taktvoll ist.«
    Es kann hier festgestellt werden, daß es zu fast unerträglichen Spannungen
    zwischen Frau Blorna und Alois Sträubleder gekommen war, als jener einmal sie
    nicht gerade verführen, aber doch erheblich mit ihr flirten wollte und sie ihm
    – auf ihre trockene Art zu verstehen gab, daß er sich für unwiderstehlich halte,
    es aber nicht sei, jedenfalls für sie nicht. Unter diesen Umständen wird man
    verstehen, daß Blorna Sträuble – der sofort in sein Arbeitszimmer führte und
    seine Frau bat, sie allein zu lassen und in der Zwischenzeit (»Zeit zwischen was?«
    fragte Frau Blorna) alles, alles zu tun, um Katharina aufzutreiben.
    40.
    Warum kommt einem plötzlich sein eigenes Arbeitszimmer so scheußlich vor,
    fast durcheinander und schmutzig, obwohl kein Stäubchen zu entdecken ist
    und alles am rechten Platz? Was macht die roten Ledersessel, in denen man
    so manches gute Geschäft abgewickelt und so manches vertrauliche Gespräch
    geführt hat, in denen man wirklich bequem sitzen und Musik hören kann,
    plötzlich so widerwärtig, sogar die Bücherregale ekelhaft und den handsignierten
    Chagall an der Wand geradezu verdächtig, als wäre es eine vom Künstler selbst
    ausgeführte Fälschung? Aschenbecher, Feuerzeug, Whiskyflacon – was hat man
    gegen diese harmlosen, wenn auch kostspieligen Gegenstände? Was macht einen
    so ungemütlichen Tag nach einer äußerst ungemütlichen Nacht so unerträglich
    und die Spannung zwischen alten Freunden so stark, daß die Funken fast
    überspringen? Was hat man gegen die Wände, die, sanftgelb rauhfaserüberpinselt,
    mit moderner, mit Gegenwartsgraphik geschmückt sind?
    »Ja, ja«, sagte Alois Sträubleder, »ich bin eigentlich nur gekommen, um
    dir zu sagen, daß ich in dieser Sache deine Hilfe nicht mehr brauche. Du hast
    mal wie der die Nerven

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