Die verlorene Ehre der Katharina Blum
sie mich mal da besucht. Glaub mir doch, daß ich ihr helfen,
daß ich ihr beistehen, daß ich sogar hingehen würde und bekennen würde: Seht
hier, ich bin der Herrenbesuch – aber ich weiß doch: mich würde sie verleugnen,
ihren Ludwig nie.«
Es war etwas ganz Neues, Überraschendes in Sträubleders Gesicht, das in
Blorna fast Mitleid erweckte, mindestens gewiß aber Neugierde; es war etwas
fast Demütiges, oder war es Eifersucht? »Was war da mit Schmuck, mit Briefen
und nun dem Schlüssel?« »Verdammt noch mal, Hubert, begreifst du denn
immer noch nicht? Es ist etwas, was ich weder Lüding noch Hach noch der
Polizei sagen kann – ich bin sicher, daß sie den Schlüssel ihrem Ludwig gegeben
hat und daß dieser Kerl jetzt seit zwei Tagen da hockt. Ich habe einfach Angst,
um Katharina, um die Polizeibeamten, auch um diesen dummen jungen Bengel,
der da vielleicht in meinem Haus in Kohlforstenheim hockt. Ich möchte, daß
er dort verschwindet, bevor sie ihn entdecken, möchte gleichzeitig, daß sie ihn
schnappen, damit die Sache ein Ende hat. Verstehst du jetzt? Und zu was rätst
du?«
»Du könntest dort anrufen, in Kohlforstenheim, meine ich.«
»Und du glaubst, daß er, wenn er da ist, ans Telefon geht?«
»Dann mußt du die Polizei anrufen, es gibt keinen anderen Weg. Schon um
Unheil zu verhüten. Ruf sie notfalls anonym an. Wenn auch nur die geringste
Möglichkeit besteht, daß Götten in deinem Haus ist, mußt du sofort die Polizei
verständigen. Sonst tue ich es.«
»Damit mein Haus und mein Name doch im Zusammenhang mit diesem
Banditen in die Schlagzeilen kommt? Ich dachte an etwas anderes … ich dachte,
daß du vielleicht mal hinfahren könntest, ich meine nach Kohlforstenheim, so als
mein Anwalt, um mal nach dem Rechten zu sehen.«
»In diesem Augenblick? Am Karnevalssamstag, wo die ZEITUNG schon
weiß, daß ich meinen Urlaub überstürzt abgebrochen habe – und das habe
ich nur getan, um in deinem Wochenendhaus nach dem Rechten zu sehen?
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Ob der Eisschrank noch funktioniert, wie? Ob der ermostat der Ölheizung
noch richtig eingestellt ist, keine Scheibe eingeworfen, die Bar noch ausreichend
bestückt und die Bettwäsche nicht klamm? Dazu kommt ein hochangesehener
Industrieanwalt, der eine Luxusvilla mit Swimming-pool besitzt und mit der
›roten Trude‹ verheiratet ist, überstürzt aus dem Urlaub? Hältst du das wirklich
für eine kluge Idee, wo doch ganz sicher die Herren ZEITUNGS-Reporter jede
meiner Bewegungen beobachten – ich fahre, sozusagen kaum dem Schlafwagen
entstiegen, zu deiner Villa hinaus, um zu sehen, ob die Krokusse bald
durchbrechen oder die Schneeglöckchen schon raus sind? Hältst du das wirklich
für eine gute Idee – ganz abgesehen davon, daß dieser liebenswürdige Ludwig
schon bewiesen hat, daß er ganz gut schießen kann?«
»Verdammt, ich weiß nicht, ob deine Ironie oder deine Witze hier noch
angebracht sind. Ich bitte dich als meinen Anwalt und Freund um einen Dienst,
der nicht einmal persönlicher, sondern mehr noch staatsbürgerlicher Natur ist –
und du kommst mir mit Schneeglöckchen. Diese Sache ist seit gestern so geheim,
daß wir seit heute früh keinerlei Informationen mehr von dort bekommen haben.
Alles, was wir wissen, wissen wir von der ZEITUNG, zu der Lüding zum Glück
gute Beziehungen hat. Staatsanwaltschaft und Polizei telefonieren nicht einmal
mehr mit dem Innenministerium, zu dem Lüding ebenfalls gute Beziehungen
hat. Es geht um Leben und Tod, Hubert.«
In diesem Augenblick kam Trude ohne anzuklopfen herein, mit dem
Transistor in der Hand und sagte ruhig: »Um Tod gehts nicht mehr, nur noch
um Leben, Gott sei Dank. Sie haben den Jungen geschnappt, dummerweise hat
er geschossen und ist beschossen worden, verletzt, aber nicht lebensgefährlich.
In deinem Garten, Alois, in Kohlforstenheim, zwischen Swimming-pool und
Pergola. Man spricht von der Nullkommafünf-Millionen-Luxusvilla eines
Lüding-Kompagnons. Übrigens gibt es wirklich noch Gentlemen: das erste, was
unser guter Ludwig gesagt hat: daß Katharina überhaupt nichts mit der Sache
zu tun hat; es sei eine rein private Liebesaffäre, die nicht das geringste mit den
Straftaten zu tun habe, die man ihm vorwerfe, die er aber nach wie vor abstreite.
Wahrscheinlich mußt du ein paar Scheiben ersetzen lassen, Alois – es ist da ganz
schön rumgeballert worden. Dein Name ist noch
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