Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
Wasser und saubere Tücher zu holen. Helene, halb erstarrt, halb fasziniert, folgte diesen und auch den weiteren Anweisungen der alten Hebamme. Bis zu dem Moment, da der Säugling bläulich zwischen den Beinen ihrer Schwester hervorrutschte, wich sie Marianne nicht von der Seite.
    Während die alte Käthe der jungen Mutter zusprach, wischte Helene ihrer Schwester den Schweiß von der Stirn. Während Käthe Mariannes Beine anwinkelte und sie aufforderte zu pressen, summte Helene ihr ins Ohr. Sie hatte sich Marianne lange nicht mehr so nahe gefühlt wie in diesen Momenten. Alle Eifersucht war wie weggewischt. Sie wollte nur, dass ihre Schwester keine Schmerzen mehr leiden musste. Sie wollte nur, dass das Kind endlich geboren wurde.
    »Du schaffst es, Marianne«, sagte sie, als diese aufgeben wollte. »Du schaffst es, das Kindlein ist fast schon geboren.«
    Und noch einmal strengte Marianne alle Kräfte an. Als Käthe den Säugling schließlich an den Beinen in die Höhe hielt, dem Kind auf den nackten Po klatschte und ihm damit seinen ersten kräftigen Schrei entlockte, brachen sie beide in Tränen aus. Gewaschen und gewindelt legte Käthe das Kleine schließlich auf Mariannes Wunsch hin in deren Arme.
    »’s ist ein kräftiges Kind«, sagte sie, »’s wird Freude bereiten.«
    »Sie ist so hübsch«, flüsterte Marianne erschöpft, und Helene strich ihrer Schwester das verschwitzte Haar aus der Stirn.
    »Wie soll sie heißen?«, fragte sie endlich.
    »Es ist wirklich ein Mädchen, ja, wirklich ein Mädchen?«, murmelte Marianne.
    Käthe nickte und entlockte Marianne ein Lächeln.
    »Luisa«, flüsterte sie, »Luisa soll sie heißen.«
    Suchend öffnete das Kleine in den Armen seiner Mutter den Mund. Ohne zu zögern streifte Marianne das Hemd zur Seite und bot ihrem Kind die Brust dar. Kleine Lippen schlossen sich um die Brustwarze, dann begann Luisa zu saugen.
    Es hatte Tage gegeben, da hatte Marianne Angst, sie würde das Kind nicht lieben können, weil es ihr das Leben schwerer machte, weil sie nicht wissen würde, wie es nach seiner Geburt weiterging. Aber sie hatte Luisa mit ihrem ersten Schrei geliebt. Noch vollkommen erschöpft auf ihrem Lager hatte sich jener erste Schrei ihres kleinen Mädchens bis tief in ihr Innerstes gebohrt und sich dort festgekrallt, und sie hatte nichts anderes tun können, als die Arme nach diesem Wunderwesen auszustrecken.
    Marianne war glücklich.
    Einzig die Liebe ihres Vaters hatte sie verloren, von der sie doch niemals geglaubt hatte, sie je verlieren zu können. Der Vater und sie waren sich stets nahe gewesen. Früher hatte ein Wort von ihr genügt, um seinen Ärger über die Geschwister zu zerstreuen.
    Er hatte sie nicht besucht, seit sie hier in diesem Haus weilte. Einmal hatte sie ihn zufällig auf einem Spaziergang gesehen, doch er, die Schultern steif, hatte sich abgewandt.
    Einmal hatte sie die Mutter getroffen.
    »Aber Kind«, hatte die gesagt, »ich darf nicht mit dir reden, ich darf es nicht.«
    Heute aber war Emmeline gekommen, um ihr Enkelkind zu sehen. Stumm hielt sie die schlafende Luisa im Arm. Die Kleine hatte das dunkle Haar ihres Vaters, und auch die Augen leuchteten bereits bräunlich wie die Gianlucas. Marianne atmete tief durch und wandte den Kopf ihrer Mutter und ihrem Kind zu. Auf dem Herd brachte Helene Wasser für den Kräutertee zum Kochen.
    »Bitte sprich mit ihm«, bat Marianne Emmeline. »Sprich mit Vater. Ich liebe ihn doch, daran hat sich nichts geändert. Und ich habe doch selbst nichts getan, als zu lieben, daran kann doch nichts Schlechtes sein.«
    Sie schaute ihre Mutter an. Die Hand, die eben Luisas winziges Gesicht hatte streicheln wollen, sank herab. Marianne fühlte, wie sie ein Zittern überkam.
    »Er hat sich entschieden, Marianne«, sagte die Mutter endlich leise. »Auch ich werde ihn nicht umstimmen können. Er wird mir sogar böse sein, wenn er erfährt, dass ich dich besucht habe.«
    Marianne starrte für einen kurzen Moment auf den Tisch vor sich, ließ den rechten Zeigefinger über Kerben und andere Unebenheiten wandern. Dann stand sie abrupt auf.
    »Einen Tee, Mutter?«
    Die Mutter schüttelte den Kopf. »Ich muss gehen. Ich bin schon viel zu lange hiergeblieben.«
    »Dann adieu, Mutter.« Marianne verzog keine Miene, wenngleich es in ihr brodelte. Emmeline überreichte ihr das Kind.
    »Auf Wiedersehen.«
    Emmeline hatte die Tür fast erreicht, als Mariannes Stimme sie noch einmal innehalten ließ. »Wirst du uns bald wieder

Weitere Kostenlose Bücher