Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
besuchen?«
    Emmeline hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist … Es ist alles nicht so leicht.«

A chtes Kapitel
    In der Erinnerung wurde jene kurze, gemeinsame Zeit mit Marianne und Luisa zur schönsten in Helenes Leben. Sie liebte es, morgens an das Bett ihrer Schwester zu treten, wenn diese noch schlief, das Kind im Arm. Es ließ sie an eine Maria mit einem Jesus-Kindlein denken, und trotz allem, was das Leben in diesen Tagen schwer machte, so wurde Marianne doch immer schöner und fürsorglicher. Und ja, auch Helene fühlte sich seltsam warm und geborgen, wenn die Schwester das Kleine anlegte und Luisa gierig nach der Brustwarze schnappte. Das kleine Mädchen war ein ausgeglichenes Kind, eines, das wenig begehrte und sich der Liebe der Mutter vollkommen sicher schien.
    Nachdem die ersten zwei Wochen vergangen waren, setzte sich Marianne erstmals mit der Kleinen nach draußen in die Sonne. Sie war vorsichtig mit ihrer Tochter, umsorgte sie und achtete auf sie, wie sie es nie zuvor mit einem Menschen getan hatte. Anfangs gab sie Luisa kaum aus den Armen, dann war es Helene, die ihre Nichte längere Zeit halten durfte. Manchmal dachte Helene dann an Christoph, der hier gewesen und wieder gegangen war und von dem die Kleine auch etwas hatte, auch wenn sie nicht benennen konnte, was es war.
    In jedem Fall war Luisa ein ausnehmend hübscher Säugling: rund und speckig mit rosigen Wangen und einem Mund wie eine Rosenblüte. Auch sie würde eine Schönheit werden.
    Im September, Luisa war nun zwei Monate alt, begann die Weinlese, die erste seit langer Zeit, an der Helene und Marianne nicht teilnahmen. Marianne schien nichts zu vermissen. Sie ging dieser Tage darin auf, ihr Kind zu versorgen. Helene putzte und schmückte die Wohnung, nähte und wusch Kleidung und bereitete das Essen zu, das ihnen weiterhin wechselnde Boten vom Stein-Hof brachten.
    Nach der Lese begann die Weinkelter, die ersten Blätter fielen. Die Schwestern unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge. Sie streiften zwischen Weinreben umher, erklommen Steillagen, machten Rast zwischen von der Sonne gewärmten Steinen und ließen Luisa die Farbenpracht des Herbstes sehen.
    Im Dezember, mit vier Monaten, fixierte das kleine Mädchen erstmals die Kette, die den Topf über dem Feuer hielt, und schaute aufmerksam den Flammen zu, die unter dem Kessel hervorloderten. Immer noch schlossen sich ihre kleinen Lippen gierig um Mariannes Brustwarze. Anfänglich hatte Helene eine Amme für die Schwester besorgen wollen, doch die hatte abgelehnt. Sie wollte ihr Kind selbst säugen. Sie hatte Schriften dazu gelesen.
    Gianluca blieb weiter verschwunden, und daran würde sich wohl auch nichts ändern, dachte Helene erleichtert – seit nunmehr fast einem Jahr hatten sie nichts von ihm gehört.
    Als die ersten Schwalben zurückkehrten, Luisa war neun Monate alt, bemerkte Helene erstmals die altbekannte Unruhe an Marianne. Plötzlich fragte sie sich, wie lange ihre gemeinsame Zeit noch andauern würde.

N euntes Kapitel
    »Los, du kannst gehen!«
    Der Wachtposten deutete auf den Weg. Gianluca jedoch blieb noch einen Moment stehen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den tiefblauen Frühlingshimmel hinauf.
    Frei, endlich frei … Er konnte es immer noch nicht fassen. Frei, nach zehn langen Monaten frei.
    Nachdem er den Franzosen damals glücklich entkommen war, war er kurz darauf den Preußen in die Hände gefallen. Auch jene verdächtigten ihn der Spionage. Im Juli verschleppten sie ihn, gemeinsam mit anderen verdächtigen Klubisten aus Mainz, auf die sächsische Burg Königstein. Dort hatte man ihn verhört, wieder eingesperrt und wieder verhört. Immer und immer wieder beteuerte er seine Unschuld.
    An den Tagen, an denen man ihn in Frieden ließ, forschte er nach Christoph. Einmal meinte er sogar, ihn zu sehen, doch er hatte sich geirrt. Mariannes Bruder war nicht unter den hierher verschleppten Mainzer Jakobinern, die Schreckliches von ihren letzten Tagen in der Stadt zu berichten wussten.
    Nun aber hatte er es überstanden. Er hatte das schlechte Essen überstanden, die Quälereien, die endlosen Verhöre. Jetzt hieß es nur, den Weg zurückfinden, als Fremder in Kriegszeiten quer durch das Land zu reisen. Als könne ihm die Berührung Kraft und Sicherheit verschaffen, betastete er den Passierschein, der ihn als Gianluca Tozzi, Baumeister aus Genua, auswies.
    Noch immer rätselte er darüber, wie es ihm gelungen war, seinen Verhörmeister endlich davon zu

Weitere Kostenlose Bücher