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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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sich der Stube näherte, waren Stimmen zu hören.
    »Ich habe drei Enkelchen«, hörte sie Friedel sagen, als sie gerade die Tür öffnete.
    Marianne drehte ihr den Kopf zu. »Ah, da bist du ja wieder. Ist es nicht schön, dass uns Friedel heute das Essen bringt? Weißt du noch, wie wir damals auf seinem Schoß saßen und er ›Hoppe, hoppe Reiter‹ mit uns spielte?«
    Helene lächelte, auch wenn sie sich an nichts dergleichen erinnern konnte. Jetzt jedenfalls saß die elf Monate alte Luisa auf Friedels Schoß und strahlte den alten Mann an.
    »Was gibt es denn?«, fragte Marianne.
    »Würstel und Kraut, es ist in der Küche auf dem Ofen.«
    Helene zog sich einen Schemel heran und setzte sich zu Friedel und Marianne. Die beiden tauschten Erinnerungen aus, lachten und kamen vom Hundertsten ins Tausendste, während Helene den Brief auf ihrer Haut spürte, als brenne da ein Feuer. Am liebsten wäre sie weggerannt, irgendwohin in die Weinberge, um ihn zu lesen, aber sie musste sich beherrschen. Etwas Bitteres drängte sich in ihr hoch, während sie ihre Schwester beobachtete. Eines wusste sie ohnehin schon: Gianluca war zurück.
    Noch als es längst völlig unmöglich war, dass sie jemand beobachtete, ging Helene weiter. Sie ging einfach, mechanisch wie ein Uhrwerk, schritt voran, lief und lief, setzte einen Fuß vor den anderen. Sie wusste schon fast nicht mehr, wo sie war, als sie endlich stehen blieb. Unschlüssig sah sie sich um, meinte sich zu erinnern, dass sie als Kind einmal an dieser Stelle gewesen war, zu einer Zeit, die ihr jetzt rückblickend wie das Paradies erschien. Dann nahm sie kurz entschlossen auf dem erstbesten Stein am Wegesrand Platz. Einen Moment lang saß sie nur da und hörte dem eigenen Atem zu, bevor sie den Brief hervorholte.
    Im Haus hatte sie nicht gewagt, ihn genauer zu betrachten. Dies tat sie nun ausführlich. Es war nur ein kleines Papier, schmutzig, etwas abgegriffen, doch sorgsam gefaltet. Plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen fort, aber sie kamen wieder, quollen hervor, ein salziger Strom, der sich einfach nicht aufhalten lassen wollte.
    Es dauerte eine Weile, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie lesen konnte, doch der Schmerz blieb: Gianluca hatte ihrer Schwester geschrieben. In knappen Worten schilderte er Marianne, was geschehen war, wie man ihn verhaftet, verhört, entlassen, wieder verhaftet, wieder verhört, dieses Mal eingesperrt und erst nach Monaten wie der entlassen hatte. Doch dieser Teil nahm nur wenig Platz ein, der weitaus größere Teil des Briefes beschäftigte sich mit Marianne, mit dem Wunsch, sie wiederzusehen, mit dem Unvermögen, sie zu vergessen. Aus jedem Wort sprach unendliche Sehnsucht. Der Brief endete mit der Bitte um eine Nachricht.
    Es war also nicht vorbei.
    Marianne wurde geliebt, sie nicht.
    Helene holte schluchzend Atem. Die Tränen liefen weiter, still und unaufhörlich, als sei eine Schleuse geöffnet worden. Ärgerlich fuhr sie sich mit einem Ärmel über das Gesicht.
    Marianna, amore, carissima.
    Sie las es, immer und immer wieder, obwohl es so wehtat, musste dann erneut einen Schluchzer unterdrücken und las es gleich wieder.
    Gianluca hatte ihre Schwester manchmal Marianna genannt. Maaariannna hatte er ihren Namen gesungen. Maariannaa. Es war wie Musik auf seinen Lippen gewesen.
    Mit einem Mal wütend zog Helene die Nase hoch. Gegen Ende des Briefes schrieb Gianluca, dass Friedel weitere Briefe bringen würde und die ihren mitnehmen konnte. Er wolle geduldig auf ihr Zeichen warten, nachdem Friedel versichert habe, dass es ihr gut ginge.
    Marianne hat gelogen, schoss es Helene durch den Kopf, sie hat mich angelogen. Nichts hat sie gesagt von Gianlucas erstem Brief und nichts wird sie mir von diesem Brief hier sagen.
    Ihre Tränen waren mittlerweile versiegt, aber es schmerzte so sehr. Erst meinte sie, keine Luft mehr zu kriegen, dann fror sie wie im tiefsten Winter.
    Und dann las sie den Brief noch einmal, konnte sich einfach nicht davon abhalten, obwohl es so unendlich wehtat.
    Danach starrte Helene vor sich hin. Wenn Gianluca jetzt wieder in der Nähe war, wo hielt er sich dann auf?
    Sie schaute nicht hin, während sie den Brief sorgsam wieder zusammenfaltete. Gedankenfetzen jagten durch ihren Kopf, ohne eine feste Richtung einzunehmen. Bilder aus glücklicheren Tagen tauchten vor ihr auf.
    Sobald sie zurück war, wollte sie den Brief in den Korb zurücklegen, wo Marianne ihn

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