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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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reisen. Seine Mutter hatte ihn zum Abschied mit Proviant und einem Stück seines Lieblingskuchens versorgt, bevor sie seinen Dreispitz zurechtgerückt und ihm noch einmal liebevoll über die Wange gestrichen hatte. Der Vater verabschiedete ihn mit einem Brummen. Als Christoph endlich das Haus verließ, fröstelte ihn kurz, dann sprang er entschlossen die Eingangsstufen hinunter. Unten drehte er sich noch einmal um. Hinter dem Fenster zum Zimmer seiner Schwestern glaubte er eine Bewegung zu sehen. Mit einem Ruck wandte er sich ab und lief mit schnellen Schritten vom Hof.
    Es war Anfang November, und ein erster winterlicher Hauch lag an diesem Morgen in der Luft. Christoph rieb die Hände gegeneinander, während er an der Mauer entlangeilte, hinter der sich der Garten der Familie Stein befand. Er hatte ihn gerade etwa zehn Schritte weit hinter sich gelassen, als das kleine Seitentor in seinem Rücken quietschend aufschwang. Ebenso eilige knirschende Schritte näherten sich ihm.
    Marianne – er musste sich nicht umdrehen, wusste sofort, dass sie es war. Nur sie konnte es sein. Sie war stets die Letzte gewesen, die ihm Adieu sagte, und er war enttäuscht ge wesen, sie am heutigen Morgen nicht gesehen zu haben.
    Als sie neben ihm stehen blieb, drehte er sich mit einem Lächeln zu ihr hin.
    »Wolltest du dich doch noch …?«, setzte er an. Das Wort »verabschieden« blieb in seiner Kehle stecken.
    Marianne war warm angezogen, trug eine Tasche in einer Hand und gab sich, wie er selbst, reisefertig. Christoph räusperte sich ungläubig.
    »Äh … was hast du vor?«
    Seine Schwester lachte. »Nach was sieht es denn aus? Ich begleite dich natürlich.« Ihre Stimme klang fest, aber er hatte gewiss nichts anderes erwartet.
    »Wissen Vater und Mutter davon?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Du kannst doch nicht einfach …«, begann Christoph vorsichtig.
    »Sag mir nicht, was ich kann und was ich nicht kann«, schnappte Marianne dazwischen, dann schien sie sich zu besinnen und strich ihrem Bruder über den Arm. »Es gibt schon so viele Leute, die das tun, bitte, Christoph, gehöre du nicht auch noch dazu. Kannst du denn nicht verstehen, dass auch ich das Neue sehen möchte? Ich möchte auch erleben, was dort geschieht. Hast du nicht gesagt, dass sie vor Kurzem einen Freiheitsbaum aufgestellt haben? Ich möchte ihn sehen, bitte!«
    Christoph runzelte die Stirn und sah kurz an ihr vorbei zum Eingang des Gartens. Marianne zog ihn am Arm zu sich herum. Ihre Augen, die einander doch so ähnlich waren, trafen sich. Er nickte langsam.
    »Natürlich verstehe ich das.« Sie waren doch Kinder, unter einem Stern geboren, oder etwa nicht? »Dann komm mit. Wir schreiben ihnen, sobald wir da sind, ja?«
    Marianne atmete erleichtert durch. Sie musste einfach fort von hier. Christoph hatte das verstanden. Sie benötigte Abstand, und sie musste sich über das klar werden, was aus Gianluca und ihr werden sollte. Und aus dem Kind.

N euntes Kapitel
    Eine Woche nachdem der erste Mainzer Freiheitsbaum im Rahmen eines großen Festzuges und unter Anteilnahme von Angehörigen der verschiedenen Stände und Konfessionen zum Stadtgericht auf das Höfchen gebracht worden war, und zwei Tage nach Ankunft der Geschwister, tauchte am frühen Morgen ein gewisser Joseph Chevillon im Hof der Brands auf und überbrachte der Familie den Befehl der Einquartierung.
    Die Soldaten unter Hauptmann Chevillons Kommando belegten den schon seit Längerem nicht mehr genutzten Stall und den großen Salon. Man teilte sich forthin die Küche. Besonders abends, wenn die Soldaten von ihrem Dienst zurückkehrten, drangen nun französische Stimmen durch das Gebäude; oft war Gesang zu hören, das Ça ira mischte sich mit der Marseillaise , dem neuen Kampfgesang der Franken, und dem Claire de la lune , das sie als Kinder selbst gesungen hatten.
    Unter den Einquartierten fanden sich neben einem Schuster und einem Schneider auch mehrere Bauernsöhne. Auch Chevillon, der ein wenig Deutsch sprach und mit dem sich Christoph ab und an in einem Mischmasch aus Deutsch und Französisch unterhielt, war der Sohn eines kleinen Bauern aus dem tiefen Süden Frankreichs.
    »Manchmal träume ich von der Wärme«, sagte er einmal, »aber das Wetter kann auch bei uns zuweilen unangenehm werden.«
    Tante Juliane hatte sofort nach der Ankunft der Geschwister einen Boten zu ihrer Schwägerin geschickt, um die Eltern über den Verbleib ihrer Tochter in Kenntnis zu setzen, und Emmeline sandte kurz darauf

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