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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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eine knappe Notiz, in der sie ihrer Erleichterung über die Auskunft Ausdruck verlieh.
    Ihre Mutter hatte nie viele Worte gemacht, aber die Kürze der Nachricht berührte Marianne seltsam. Was würde Emmeline zu sagen haben, wenn sie erfuhr, wie es um die Tochter stand? Würde sie Worte des Trostes finden, sich abwenden? Was würde sie sagen? Nichts, womöglich? Marianne schauderte bei dem Gedanken daran, was vor ihr lag.
    Doch es war in diesen Tagen schlicht nicht möglich, nur den eigenen trüben Gedanken nachzuhängen, und Marianne war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Während sich die Franzosen im Umland zu Christophs Unmut bald schon dem wachsenden Druck der Koalitionstruppen ausgesetzt sahen, lief Marianne selbst voller Neugier durch eine Stadt, in der man nun an allen Ecken und Enden Französisch hörte. Die Welt war näher gerückt, so nahe, dass es sie bisweilen ängstigte.
    Hatte Tante Juliane zu Anfang noch darauf bestanden, die Nichte zu begleiten, gab sie, so häufig, wie deren Ausflüge waren, dieses Ansinnen bald auf und verlangte von da ab lediglich, dass ihr eine Magd zur Seite gestellt werde, denn in diesen Zeiten könne man nicht vorsichtig genug sein. Als Christoph anmerkte, die Schwester gehe daheim auch alleine vor die Tür, zog Juliane die Augenbrauen zusammen.
    »Ach Gott, Bonnheim …«, sagte sie nur. »Bonnheim ist ein Dorf, Mainz eine Stadt. Ich habe eurer Mutter geschworen, auf das Mädchen achtzugeben, und das werde ich nach bestem Wissen und Gewissen tun.«
    Nur, dass es dafür schon zu spät war, dachte Marianne im Stillen.
    Abends im Bett, wenn sie auf den Schlaf wartete, dachte sie manchmal, dass Helene den geliebten Gianluca jetzt wenigstens für einige Zeit ganz für sich alleine haben konnte. Manchmal stellte sie sich dann vor, dass dies vielleicht schon die Lösung bringen würde, dass Gianluca und sie einander vergaßen, dass sie nach ihrer Rückkehr Anton heiraten und auf sein Weingut ziehen konnte.
    Ach, wenn das Leben nur so einfach sein könnte.
    In Wirklichkeit wusste Marianne bald immer weniger, was zu tun war. Ihre Blutungen hatten bislang nicht eingesetzt, die Schwangerschaft wurde wahrscheinlicher und ließ sich immer weniger verleugnen. Manchmal war sie schon nahe daran, zu Tante Juliane zu laufen, wie sie das bei Besuchen als kleines Mädchen oft getan hatte, und ihr alles zu beichten.
    Die Tante hatte immer ein offenes Ohr für ihre Patenkinder gehabt, hatte stets geduldig zugehört und gute Ratschläge erteilt. Auch deshalb hatte Marianne seit ihrer Ankunft viele Gespräche mit der älteren Frau geführt, auch wenn es ihr diesmal nicht gelingen wollte, das anzusprechen, was sie wirklich bedrückte. Aber wie konnte das, was sie in Gianlucas Armen gespürt hatte, wie konnte so etwas Wunderbares zugleich so bitter schmecken?
    Wenn sie in diesen Tagen gemeinsam mit Onkel und Tante die Messe besuchte, flehte sie nun den Herrgott, Jesus und Maria an, ihr einen Ausweg zu zeigen. Irgendwann würde sie nach Hause zurückkehren. Irgendwann würde ihr Leib sie verraten. Und wie sollte sie sich dann in ihr gewohntes Leben einfügen, wo sie die Grenzen doch längst überschritten hatte?
    Das Schlimmste in diesen Tagen der Unsicherheit aber war, dass sie Tante Juliane anlog, anstatt ihr die Wahrheit zu sagen. Und noch schlimmer wurde es, wenn Tante Juliane sie tröstend in den Arm nahm.
    »Dabei ist Anton so ein guter Mann«, stotterte Marianne. »Ich weiß das. Ich kenne ihn ja schon, seit wir Kinder waren. Ich könnte keinen besseren heiraten.«
    Sie fühlte den Druck von Julianes Umarmung vorübergehend noch stärker und schämte sich so sehr, dass ihr beinahe übel wurde, dann hauchte die Tante ihr einen Kuss auf den Scheitel.
    »Es ist nicht ungewöhnlich, Angst zu haben, Liebes. Es ist sogar nur vernünftig, sich Gedanken zu machen. Ich verstehe dich, denn ich habe mich auch gefürchtet, bevor ich Hubertus geheiratet habe, aber es ist nicht so schlimm, wie du befürchtest. Du wirst eine Ehefrau werden, du wirst deinem eigenen Hausstand vorstehen, Kinder empfangen, wenn Gott will …« Tante Juliane blickte traurig in die Ferne, denn ihre eigene Ehe war kinderlos geblieben. Dann wiederholte sie mit fester Stimme: »Es ist nicht schlimm, wirklich nicht.«
    Nein, hatte Marianne in diesem Moment gedacht, es ist viel schlimmer. Doch sie hatte alle Kraft zusammengenommen und ihre Tante angelächelt.
    Inzwischen waren weitere zwei Wochen vergangen, der Dezember näherte sich.

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