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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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gelegen. Zunächst hatte sie sich gefragt, ob das wohl Liebesbriefe waren, die ihre Großmutter erhalten hatte – schließlich war sie eine schöne Frau –, entweder vom Großvater, was Friederike sich gar nicht hatte vorstellen können, oder, was weitaus romantischer war, von der Liebe ihres Lebens, die sie hatte aufgeben müssen, jedoch nie vergessen hatte.
    Friederike hatte in diesen Jahren viel Sinn für Romantik gehabt, malte sich ihr doch so ereignisloses Leben gerne mit etwas Farbe aus. Später sagte sie sich manchmal, es hätte besser alles so bleiben sollen, wie es gewesen war. Schließlich hatte es ihr an nichts gemangelt. Die Großeltern waren besser durch den Krieg gekommen als manch andere. Das Haus war nicht von Bomben getroffen worden. Sie hatten auch nie wirklich hungern müssen. Einmal hatte jemand gesagt, der Krieg habe ihnen das Leben gerettet, aber damit hatte Friederike nichts anfangen können, und sie hatte es schnell vergessen, um sich erst viel später daran zu erinnern.
    An jenem Tag war sie schon im Begriff, die Briefe wieder zurück an ihren Platz zu legen, als mit einem Mal doch die Neugier siegte und sie wenigstens auf die Adresse schaute. Kaum einen Lidschlag später hatte ihr Herz in ihrer Brust zu hämmern begonnen: An Fräulein Friederike Josephine Neuberger, dann folgte die Straße, in der sie immer noch wohnten, als Letztes stand da Frankfurt am Main / Germany auf dem Umschlag.
    Fräulein Friederike Josephine Neuberger, hatte sie bei sich wiederholt, aber das bin ja ich.
    Allerdings hatte sie diese Briefe nie zuvor gesehen. Mit zitternden Fingern löste sie wenig später das Band und hob den ersten Brief näher an ihr Gesicht, als wolle sie ihren Augen nicht trauen. Ihr Name stand da, ihr Name in einer ordentlichen, ihr unbekannten Handschrift. Dazu klebte eine fremde Briefmarke auf dem Umschlag. Australien.
    Friederike hatte den ersten Brief gerade auseinanderfalten wollen, als sie draußen Schritte vernahm. Es war keine Zeit mehr geblieben, die Briefe wieder an Ort und Stelle zu räumen, aber es war ihr gelungen, jenen in ihrer Hand zwischen Unterhemd und Unterhose unter ihre Bluse zu schieben, bevor sie aufgesprungen war und zur Tür geschaut hatte.
    Da war bereits Großmama im Türrahmen erschienen. Sehr schnell, wie gewöhnlich, hatte Nora Neuberger die Situation erfasst. Mit ein paar Schritten war sie bei ihrer Enkelin angelangt und hatte ihr das Bündel aus der Hand gerissen.
    »Hast du etwas davon gelesen?«, hatte sie streng gefragt.
    Friederike schüttelte nur den Kopf.
    Nora sah sie prüfend an.
    »Ich hätte diesen Schmutz längst wegwerfen sollen«, sagte sie dann und packte ihre Enkelin beim Handgelenk, »und genau das werde ich jetzt tun.«
    Dann zerrte sie Friederike hinter sich her bis zur Küche, wo sie eins der Mädchen anwies, die Ofentür zu öffnen, hinter der das Feuer züngelte.
    Großmama überreichte Friederike die Briefe.
    »Wirf sie dort hinein.«
    Friederike, die den ganzen Weg über gefürchtet hatte, Großmama könne auch noch auf den einen verborgenen Brief aufmerksam werden, riss die Augen auf.
    »Aber«, hatte sie mit zitternder Stimme gesagt, »das sind meine Briefe.«
    »Deine Briefe, so?« Ihre Großmutter hatte die Augenbrauen gehoben. »In diesem Haus gehört dir nichts, mein liebes Kind, gar nichts, und jetzt tu, was ich dir sage.«
    Friederike, mein liebes, süßes Kind! Unwillkürlich füllten sich Friederikes Augen mit Tränen. Die Brandwunde, die sie sich bei der Vernichtung der anderen Briefe am Daumen zugezogen hatte, schmerzte, aber irgendwie tat es gut, diesen Schmerz zu spüren. Auf seine Weise machte er das, was sie erlebt hatte, realer. Sie wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht, dann warf sie einen Blick auf den Brief.
    Das ist die Handschrift deiner Mutter, sagte eine leise Stimme in ihr, die Handschrift deiner richtigen Mutter, denn alles andere ist Lüge. Die Frau, die sie Mama genannt hatte, hatte sie nicht zur Welt gebracht. Die Frau, die sie betrauert hatte, hatte ihr niemals die Wahrheit gesagt. Felicitas war nicht ihre Mutter gewesen.
    Friederike fuhr sich erneut mit der Hand über das Gesicht, weil die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen. Der Brief, den sie im Folgenden las, war an ein kleines Mädchen gerichtet, vier Jahre alt, denn er war 1935 abgeschickt worden. In einfachen Worten berichtete er von einem Leben in einer fernen Welt, berichtete von einem Teddybär, der bald zu dem kleinen Mädchen

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