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Die verlorene Koenigin

Die verlorene Koenigin

Titel: Die verlorene Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
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hohen weißen Gaststätte gab es einen gepflasterten Anlegesteg für Boote. Der Fluss floss träge dahin. Seine graublaue Oberfläche war vom Regen aufgewühlt und die gegenüberliegende Uferseite war durch die Reflexionen der Bäume auf dem Wasser verdunkelt. Linker Hand, ungefähr zweihundert Meter entfernt, konnten sie die stark befahrene Richmond Bridge mit ihren vielen Bögen sehen.
    Arm in Arm folgten Edric und Tania dem Fußweg am Flussufer, eilten unter der Brücke hindurch und gelangten schließlich zu einem Bereich, der von grasbewachsenen Abhängen gesäumt und von Baumkronen überhangen war. An einem sonnigen Sommertag war dieser Platz sicher voller Menschen, der Nieselregen, der durch alle Kleider drang, schreckte jetzt wohl alle ab außer ein paar vermummten Radfahrern und hartgesottenen Joggern.
    Unter einer ausladenden grünen Eiche blieben sie stehen. Hier sammelte sich der Regen langsam, bis er in großen Tropfen schwer von den Ästen fiel. Sie warteten, bis ein einzelner Radfahrer vorbeigefahren war und in der Ferne verschwand.
    Tania nahm Edric an der Hand. Dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich in Gedanken auf das Elfenreich. Ganz in dem Bewusstsein von Edrics Gegenwart trat sie nach vorne. Sie machte den Seitwärtsschrit t … und schlug die Augen auf. Es hatte sich nichts verändert. Sie befanden sich immer noch in der Welt der Sterblichen.
    Edric stand neben ihr und hielt ihre Hand.
    »Das ist ja seltsam«, sagte sie. »Ich versuche es gleich noch mal.«
    Sie schloss die Augen. Diesmal hatte sie das Bild des Elfenpalasts in all seinen Einzelheiten vor Augen. Edrics Hand fest in der ihren, trat sie einen Schritt nach vorn und dann einen zur Seite.
    Diesmal tat es weh.
    Die Luft brannte, als sei sie elektrisch aufgeladen, und auf einmal hatte Tania den Geschmack von rostigem Eisen im Mund. Schockiert öffnete sie die Augen.
    »Was ist passiert?«, fragte Edric besorgt.
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Aus irgendeinem Grund klappt es nicht.«
    »Okay«, seufzte Edric und ließ ihre Hand los. »Dann versuch’s mal ohne mich. Vielleicht blockiere ich dich.«
    Tania runzelte die Stirn. »Das kann nicht sein.«
    »Versuch’s einfach!«
    Sie holte tief Luft und beschwor zum dritten Mal Bilder aus dem Elfenreich herauf. Sie zuckte leicht zusammen in Erwartung eines zweiten elektrischen Schlags und versuchte erneut den Seitwärtsschritt. Diesmal jedoch blieb der jähe Schmerz aus und der Eisengeschmack war weg. Dennoch stimmte etwas nicht.
    Sie schlug die Augen auf. Das ferne Brummen des Autoverkehrs auf der Richmond Bridge war schlagartig verstumm t – und Edric verschwunden.
    Die Wolken am Himmel dräuten blaugrau, und es regnete ununterbrochen, sodass der Pegel des schäumenden Flusses stetig anstieg. Über Tania raschelten und knarzten die Äste der Eiche.
    Sie lachte laut auf, warf die Arme in die Luft und hüpfte durch die Pfützen, dass das Wasser nur so spritzte.
    »Gracie!«, rief eine schrille, entnervte Stimme. »Gracie! Kommst du wohl her, sonst setzt es was!«
    Tania wirbelte mit ausgebreiteten Armen im Kreis herum. Von der Haube auf ihrem Kopf tropfte das Wasser.
    »Nein!«, schrie sie der Frau mit dem schmalen Gesicht zu, die unter dem Baum stand. »Ich will nicht!«
    »Du holst dir noch den Tod, und außerdem wird deine Mutter sehr erbost sein, Gracie.«
    Wieder lachte Tania und drehte sich mit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse, hüpfte herum und tobte durch den Regen. Ganz offensichtlich widersetzte sie sich ihrem neuen Kindermädchen, der blöden Amme Perks mit der spitzen Nase, der hohen Piepsstimme und dem knochigen kleinen Körper.
    »Komm sofort zurück ins Haus, sonst bekommst du kein Abendessen!«
    »Mir doch egal!«
    Das Kindermädchen stampfte mit dem Fuß auf. »Du bist das ungezogenste Kind, das die Welt je gesehen hat!«
    Ob sie jetzt gleich losheulen würde? Ach, das wäre lustig! Das würde der dummen Trine recht geschehen. Wie konnte sie nur glauben, Amme Bobbins einfach so ersetzen zu können! Die liebe, sanfte Bobbins mit ihren großen, weichen Armen, die immer nach frisch gebackenen Keksen roch und deren Schoß einem weichen Sofa glich. Amme Bobbins, die genauso aussah wie die Bilder von der jungen Königin Victoria in den Zeitschriften. Arme Königin Victoria. Sie war letztes Jahr gestorben. Alle waren so traurig gewesen. Papa hatte ganz lange eine schwarze Armbinde getragen.
    Amme Perks zog sich den Mantel enger um ihren dürren Körper und

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