Die verlorene Koenigin
das Schauspiel, während sich Gabriel Drakes Blick in ihr Herz bohrte wie eine Nadel in einen gefangenen Schmetterling. Ein Angstschrei erstarb in Tanias Kehle.
Um sie herum begann sich alles zu drehen, bis sie in der Mitte des Wirbels nur noch die beiden bösen Augen und das grausame Lächeln sah.
Als das Monsterpferd nur noch wenige Meter von ihr entfernt war und Tania jeden Augenblick erwartete, von dessen riesigen Hufen zertrampelt zu werden, zerrte Gabriel an den Zügeln und das Pferd blieb stehen. Grauer Dampf drang aus seinen Nüstern.
Gabriel legte den Kopf in den Nacken und stieß in einer fremden, harsch klingenden Sprache einen gellenden Befehl aus.
In der Ferne antwortete ihm laut heulend ein Chor halbmenschlicher Stimmen und gleich darauf setzte eine Schar grauer Reiter über den Zaun. Es waren sechs. Die Augen von Rossen und Reitern leuchteten rubinrot. Die Ritter von Lyonesse waren fast bis zum Skelett abgemagert. Auf ihren ausgemergelten, aschfahlen Gesichtern lag ein Ausdruck des Wahnsinns; das lange weiße Haar fiel ihnen, Spinnweben gleich, über die Schultern. Jeder von ihnen trug ein dünnes Stirnband, in dessen Mitte ein schwarzer Stein schimmerte. Ihre mageren Glieder waren von einem grauen Material umhüllt, das matt wie Fischschuppen glänzte, und um die Schultern trugen sie Umhänge aus grauem Leder, von denen ein unheimlicher Glanz ausging.
»Ihr werdet nie von mir loskommen, Mylady«, flüsterte Gabriel. »Wusstet Ihr das nicht? Wir sind für alle Zeiten miteinander verbunden!«
Dann lachte er und warf sich im Sattel zurück. Das Pferd bäumte sich auf und wieherte drohend. Dabei trat es wild mit den Vorderhufen in die Luft, direkt über Tanias Kopf.
Sie dachte schon, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, da fasste sie plötzlich jemand von hinten um die Taille und zog sie über die Terrasse zurück in die Küche. Eine Hand fasste an ihrem Kopf vorbei und warf die Tür zu.
Kaum war Gabriel aus Tanias Blickfeld verschwunden, kehrten ihre Lebensgeister zurück und sie gewann ihren freien Willen zurück.
»Lauf vorne hinaus!« Edric schien in Panik geraten zu sein. »Ich hole die Prinzessinnen. Schnell!«
»Nein! Ich komme mit dir, wir müssen unbedingt zusammenbleiben.«
Sie rannten quer durch die Küche in den Flur. Tania hörte, wie laut gegen die Terrassentür geschlagen wurde. Dann zersplitterte Glas.
Sie rasten die Treppe hinauf.
Cordelia stand bereits mit glänzenden Augen oben am Absatz, in den Armen das Bündel mit den Schwertern.
»Die Grauen Ritter sind also gekommen«, rief sie. »Sollen wir kämpfen?«
»Nein!«, schrie Edric. »Wo sind die anderen?«
»Hier«, sagte Cordelia.
Kurz darauf tauchten Sancha und Zara hinter ihr auf, Sancha schnappte sich gerade den Rucksack mit der Krone der Königin.
Tania und Edric rannten die Treppe wieder hinunter, dicht gefolgt von den drei Prinzessinnen. Als sie sich in den Flur drängten, waren aus der Küche das Splittern von Holz und das Bersten von Glas zu hören.
Tania warf einen Blick über die Schulter. Durch die Küchentür sah sie einen der Grauen Ritter, der sich einen Weg durch die zerbrochene Hintertür und die Scherben auf dem Boden bahnte. Noch immer verunzierte das makabre Lächeln sein Gesicht und ein Kristallschwert ragte aus seiner knochigen Hand. Seine roten Augen bohrten sich in die ihren, seine knochigen Kiefer öffneten sich und ein Ruf erscholl, der wie das Klappern von Messern klang.
Inzwischen hatte Edric die Vordertür erreicht und riss sie auf. Cordelia, die plötzlich neben Tania war, rief etwas: fremdartige Worte in einem schrillen Ton, der etwas Unmenschliches hatte.
Ein zweiter Ritter drängte sich in die Küche. Tania gewahrte ein durchdringendes Pfeifen in ihrem Rücken, das rasch lauter wurde. Edric schrie überrascht auf, und eine Sekunde später wurde Tania fast der Boden unter den Füßen weggerissen, als ein Schwarm kleiner dunkler Vögel mit schrillem Trillern durch die Küchentür stob und in einer Spiralformation durch den Gang flog. Jetzt verstand Tania den Sinn von Cordelias Ruf: Sie hatte die Vögel herbeigeholt.
Die Tiere umflatterten die beiden Ritter, verdeckten ihnen mit ihren Flügeln die Sicht und setzten ihren Gesichtern mit Schnäbeln und Krallen zu.
»Eine Weile werden die Stare sie aufhalten können«, rief Cordelia und packte Tania am Handgelenk. »Schnell weg hier!«
Tania sah, dass viele Vögel den Schwertern der Ritter zum Opfer fielen, doch die anderen ließen
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