Die verlorene Koenigin
Fersen bleiben und wir sind noch nicht weit genug von meinem Haus entfernt. Aber ich habe eine Idee. Am sichersten ist man unter vielen Menschen und es gibt einen alten Spruch: Die auffälligsten Stellen sind das beste Versteck.«
Tania sah ihre Schwester prüfend an, strich ihr eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und wischte ihr ein paar Schmutzflecken von der Bluse.
»Das musst du mir genauer erklären«, bat Zara.
Tania schlich vorsichtig die Stufen wieder hinauf und ergriff Zaras Hand.
»Lass es mich mal so ausdrücken«, antwortete sie grinsend. »Bist du schon mal in einem Nachtclub gewesen?«
»Wie alt, Ladys?« Der Türsteher stand breitbeinig vor dem Eingang zum Nachtclub. Seine breiten Schultern schienen fast den Anzugstoff zu sprengen, und sein kahl rasierter Kopf glänzte im blauen Neonlicht der Reklame, die über der Tür hing.
Strangeways: Abtanzen bis zum Morgengrauen
Er war jung und gut aussehend und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Bizepse waren so dick wie Tanias Oberschenkel.
»Achtzehn«, sagte Tania und blickte ihm ruhig in die Augen. »Beide.«
Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht und er trat zur Seite. »Na, wenn ihr das sagt«, entgegnete er. »Hereinspaziert. Für zwei so hübsche Damen ist immer Platz. Viel Spaß und nehmt euch vor den bösen Wölfen in Acht.«
Tania schob sich an dem Türsteher vorbei. Sie zog die widerstrebende Zara über die Schwelle und weiter die schwach beleuchteten roten Samtstufen hinunter. In der Dunkelheit war dem Türsteher nicht mal aufgefallen, dass keine von ihnen Schuhe trug.
»Wölfe?«, fragte Zara. »Hier gibt es Wölfe?«
»Ja und nein«, sagte Tania. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Ich erklär’s dir später. Aber wir sind reingekommen, das ist die Hauptsache. Jetzt müssen wir nur noch Eintritt zahlen und in der Menge untertauchen. Wollen doch mal sehen, ob uns diese grauen Monster bis hierher folgen!«
Tania war zunehmend nervöser geworden. Auf dem Weg zum Nachtclub hatte sie zwar keine Spur mehr von den Grauen Rittern gesehen, aber dennoch wurde sie das unbehagliche Gefühl nicht los, dass sie beschattet wurden.
»Was ist das für ein Ort?«, erkundigte sich Zara. »Und was bedeutet der Lärm?«
»Das ist ein Ort für Leute, die gern die Nacht durchtanzen. Ein bisschen wie beim Fest der Reisenden, aber eben in geschlossenen Räumen und auch viel lauter und schweißtreibender. Der Lärm ist Musik.«
Zara blieb auf der Treppe stehen und legte den Kopf schief, um zu lauschen.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Das ist keine Musik. Ich höre zwar einen Rhythmus, aber keine Melodie. Und ein Rhythmus ohne Melodie ist wie das Stampfen von Rindern im Stall.«
»Wenn du genau hinhörst, wirst du eine Melodie entdecken, aber die Leute heutzutage mögen vor allem Schlagzeug und Bässe. Das ist moderne Tanzmusik. Du wirst dich dran gewöhnen.«
»Das wage ich aber zu bezweifeln«, erwiderte Zara bestimmt.
Sie gingen einen schwarz gestrichenen Flur entlang und das Dröhnen wurde immer lauter.
Als Tania durch eine schwarze Schwingtür trat, spürte sie, wie sich Zaras Finger in ihre Hand gruben. Die Musik schlug ihnen mit der Wucht einer Lawine entgegen.
Drinnen gab es zahlreiche Treppen und Laufstege, daneben Konstruktionen aus Maschendraht. An der hohen Decke drehten sich Stroboskopscheinwerfer, sodass vielfarbige Lichtstrahlen über die Wände und die brodelnde Masse der Tanzenden glitten. An den Seitenwänden führte eine Galerie entlang, auf der im vorderen Bereich Tische und Stühle standen und im hinteren schwarze Samtsofas.
Es war brechend voll und die Bässe wummerten so stark, dass der Boden unter ihren Füßen vibriert e – eine Unterhaltung war schier unmöglich.
Tania sah Zara an. Ihre Schwester machte ein verkniffenes Gesicht, als habe sie Schmerzen.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sie hierherzubringen. Tania hatte zwar befürchtet, dass der Nachtclub ein Kulturschock sein würde, aber sie hätte niemals gedacht, dass die Prinzessin dermaßen verängstigt reagieren würde.
Tania legte ihren Arm um Zaras Schultern. »Alles in Ordnung«, schrie sie ihr ins Ohr. »Du brauchst keine Angst zu haben. Wir bleiben nicht lang. Ich wollte nur die Ritter abschütteln. Hältst du es noch ein paar Minuten hier aus?«
Zara nickte und sagte etwas Unverständliches. Tania hielt ihr Ohr dichter an Zaras Mund, aber die Musik übertönte alles.
»Erzähl’s mir später!«,
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