Die verlorene Koenigin
Ordnung. Keine Angst.« Sie schaltete das Licht wieder aus. »Seht ihr? Es ist nichts Gefährliches. Ich war das.« Sie betätigte den Lichtschalter ein drittes Mal.
Sancha beschirmte mit der Hand die Augen und sah blinzelnd zu der grellen Glühbirne hinauf. »Sonnenlicht in einem Gefäß!«, stieß sie hervor. »Einmal habe ich Eden einen solchen Zauber vollbringen sehen, allerdings unter großen Mühen und nach ausführlicher Vorbereitung.«
Zara hatte sich vorgebeugt und stützte das Gesicht in die Hände. »Das ist nicht die Sonne!«, murmelte sie. »Das ist in der Tat Koboldlicht, unnatürlich hart und grell. Mach es aus, Tania, ich bitt dich. Es schmerzt mir in den Augen.«
Tania schaltete das Licht wieder aus.
»Vielleicht wären Kerzen besser«, schlug Edric zu Tania gewandt vor. »Hast du welche hier?«
Tania ging Kerzen mit Duftaroma holen, zündete ein gutes Dutzend an und verteilte sie auf Untertellern im ganzen Raum. Den restlichen Abend verbrachten sie im flackernden Kerzenschein. Erst unterhielten sie sich eine Weile, später, als zu fortgeschrittener Stunde das Gespräch erstarb, sang Zara für die anderen: Lieder aus glücklicheren Zeiten, die von Schönheit und Freude handelten und von den bevorstehenden Gefahren ablenken sollten.
Zaras Stimme hatte eine tröstliche Wirkung auf Tania, die zusammengerollt auf dem Sofa lag. Doch selbst in den friedlichsten Momenten gelang es ihr nicht, die bedrohliche Zukunft auszublenden.
Tania war von einem züngelnden Flammenmeer umgeben, das eine unerträgliche Hitze verbreitete und schwarze, rußende Rauchsäulen in den Himmel wachsen ließ. Außer sich vor Angst rannte Tania hin und her, die Hände schützend vor dem Gesicht. Während ihre Haut immer schlimmer versengt wurde, suchte sie panisch nach einem Ausgang.
»Hier entlang!«, rief da eine Stimme durch die zuckende Flammenwand. »Zu mir!«
»Edric?«
»Komm zu mir!« Die Flammen teilten sich, sodass ein schmaler Durchgang entstand, der einen Fluchtweg andeutete. Weit hinten am Ende des Ganges war der Umriss eines Mannes zu sehen, der sie zu sich winkte. Sie rannte auf ihn zu und zuckte jedes Mal zusammen, wenn die roten Flammenzungen an ihr leckten. Die schwarze Silhouette des Mannes schien sich beständig zu entfernen, während sie auf die Gestalt zulief.
»Warte auf mich!«
Seine Stimme schwebte über die heiße, trockene Luft hinweg zu ihr. »Kommt, Mylady!«
Kurz loderten die Flammen heller auf und endlich konnte Tania das Gesicht der Gestalt erkennen: Es war jenes heimtückische Antlitz mit den silbernen Augen, das sie so gut kannt e – Gabriel Drake.
»Nein!«
Er sprang mit einem Satz auf sie zu, umschlang sie, riss sie mit Schwung zu Boden und fiel mit seinem ganzen Gewicht auf sie.
Sie erwachte und merkte, dass sie mit der Decke kämpfte. Neben ihr im Bett lag Zara. Tania lauschte reglos dem ruhigen, gleichmäßigen Atem ihrer Schwester.
Ein paar Minuten blieb sie still liegen, zu ängstlich, um die Augen wieder zu schließen. Würde sie sich denn ein Leben lang vor Gabriel Drake fürchten müssen? Und jetzt bestand sogar die Möglichkeit, dass der König von Lyonesse den bösen Elfenlord aus seinem Exil auf Ynis Maw befreit hatte. Nun, da er kein Gefangener mehr war, konnte er sie viel leichter entführen!
Wut stieg in ihr auf und verdrängte ihre Angst. Mit einem Mal war sie hellwach. Tania warf einen Blick auf den Wecker neben dem Bett. 1 Uhr 13. Noch drei Stunden, bis sie zu Jades Haus hinübergehen konnten. Drei Stunden! Zu lange, um liegen zu bleiben.
Sie schlüpfte aus dem Bett und schlich sich auf Zehenspitzen zur Tür. Sancha und Cordelia lagen aneinandergekuschelt auf der Matratze am Boden, unter der Bettdecke ihrer Eltern. Beide schienen tief und fest zu schlafen; Cordelia schnarchte leise.
Im fahlen Mondlicht konnte Tania die geöffneten Schubladen und herumliegenden Kleidungsstücke sehen; dieses Schlachtfeld hatte sie angerichtet bei dem Versuch, etwas zum Anziehen für die drei Prinzessinnen herauszusuchen.
Dabei war die Kleidergröße kein Problem gewesen. Aber etwas zu finden, das Zara überhaupt anzuprobieren geruhte, war beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.
Zara weigerte sich schlichtweg, Röcke oder Kleider in die engere Wahl aufzunehmen, die ein bisschen Bein zeigten, Hosen oder Jeans lehnte sie grundsätzlich ab. Cordelia hatte sich schnell für eine braune Cordhose und eine weite karamellfarbene Bluse entschieden. Sancha wählte einen knöchellangen
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