Die Verlorene Kolonie
Köpfchen, Artemis. Sie hat bereits die Highschool abgeschlossen und absolviert derzeit zwei Fernstudiengänge: Quantenphysik und Psychologie. Außerdem vermute ich, dass sie unter einem anderen Namen einen Doktortitel in Chemie erworben hat.«
»Was ist mit den beiden anderen Männern?«, fragte Holly, um das Gespräch voranzubringen, bevor Foaly weiter Artemis mit seiner Freundin aufziehen konnte.
»Der Latino heißt Juan Soto. Er ist der Chef von Soto Security. Scheint eine offizielle Genehmigung zu haben. Wenig Fachkenntnisse, kaum Erfahrung. Kein Problem für euch.«
»Und der Schütze?«
»Der Typ mit den Krücken heißt Billy Kong. Alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Ich schicke dir die Datei in deinen Helm.«
Sekunden später piepte die Mailanzeige, und Holly öffnete die Datei auf ihrem Visier. Oben links drehte sich ein dreidimensionales Foto von Kong, darunter erschien sein Vorstrafenregister.
Artemis räusperte sich. »Ich habe leider keinen Helm, Foaly.«
»Ach ja, unser kleines Genie hat ja keine Hightech zur Verfügung.« Foalys Stimme troff vor Herablassung. »Soll ich es dir vorlesen?«
»Wenn Ihr erhabenes Gehirn es verkraftet, einfache Sprache zu benutzen.«
»Okay. Billy Kong. Im Zirkus aufgewachsen, verlor beim Kampf mit einem Tiger ein Auge...«
Artemis seufzte. »Bitte, Foaly, wir haben keine Zeit für Scherze.«
»Klar«, gab der Zentaur zurück. »Deshalb sitzt du ja auch in der Bibliothek. Also gut, die Wahrheit. Geboren als Jonah Lee in Malibu, Anfang der Siebziger. Die Familie stammt aus Taiwan. Mutter Annie. Ein älterer Bruder, Eric, bei einem Bandenkrieg getötet. Die Mutter kehrte mit Kong zurück nach Hsinchu, südlich von Taipeh. Kong zog in die Stadt und hielt sich mit diversen Gaunereien über Wasser. In den Neunzigern musste er verschwinden, weil er sich mit seinem Komplizen überworfen und ihn mit dem Küchenmesser erstochen hatte. In Taiwan läuft noch immer eine Fahndung auf den Namen Jonah Lee.«
Holly war überrascht. Kong wirkte eigentlich ganz harmlos. Schmal, mit bunt eingefärbter, hochgegelter Stachelfrisur. Er sah nicht aus wie ein Mörder, eher wie das Mitglied einer Boygroup.
»Zog nach Paris und wechselte den Namen«, fuhr Foaly fort. »Training in Kampfkunst. Er hat sich das Gesicht operieren lassen, aber nicht genug, um meinem Computer zu entgehen.«
Artemis senkte seine Telefonhand und wendete sich an Butler. »Sagt Ihnen der Name Billy Kong etwas?«
Der Leibwächter sog scharf die Luft ein. »Ein gefährlicher Kerl. Er hat eine kleine, gut ausgebildete Mannschaft. Sie lassen sich von Leuten mit zweifelhaftem Lebensstil als Leibwächter anheuern. Ich habe gehört, er macht jetzt einen auf legal und arbeitet seit Neuestem für einen Arzt in Europa.«
»Kong ist im Zug«, sagte Artemis. »Er war der Mann mit der Pseudokrücke.«
Butler nickte nachdenklich. Kong war in der Unterwelt berüchtigt. Der Mann kannte keine Moral, und wenn der Preis stimmte, erledigte er jede Aufgabe, so widerwärtig sie auch sein mochte. Kong folgte nur einer Regel: Gib nie auf, bevor der Auftrag nicht erledigt ist.
»Wenn Billy Kong seine Finger im Spiel hat, ist die Sache wesentlich gefährlicher, als wir dachten. Wir müssen den Dämon so schnell wie möglich retten.«
»Das sehe ich genauso«, sagte Artemis und hob das Telefon wieder ans Ohr. »Haben Sie eine Adresse, Foaly?«
»Gaspard Paradizo besitzt ein Herrenhaus bei Tourrettessur-Loup, ungefähr eine halbe Stunde von Nizza entfernt, Richtung Vence.«
Artemis leerte seine Tasse in einem Zug. »Sehr gut. Holly, wir treffen uns dort.«
Artemis stand auf und zupfte das Jackett zurecht. »Butler, alter Freund, wir brauchen eine Überwachungsausrüstung. Kennen Sie jemanden in Nizza, der uns aushelfen könnte?«
Butler klappte ein scheckkartendünnes Handy auf. »Was glauben Sie?«
Tourrettes-sur-Loup, Südfrankreich.
Das kleine Kunsthandwerkerdorf Tourrettes-sur-Loup schmiegte sich in die Ausläufer der Alpes Maritimes. Das Herrenhaus der Familie Paradizo lag etwas oberhalb des Ortskerns, auf einer Felsterrasse kurz unterhalb der Schneegrenze.
Das Gebäude stammte ursprünglich aus dem neunzehnten Jahrhundert, war jedoch umfangreich renoviert worden. Die Wände bestanden aus massivem Stein, die Fenster waren verspiegelt und vermutlich kugelsicher, und überall hingen Kameras. Die Straße, die zu dem Herrenhaus führte, war typisch für die Gegend: schmal und stark gewunden. An der Südecke
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