Die verlorene Tochter (Romantik Thriller /Unheimlich) (German Edition)
Aber er wollte ja nicht auf mich hören."
Sharon achtete nicht auf seine Worte. Sie rannte auf den Turm zu. "Mister Winslow!" rief sie. "Mister Winslow, ist Ihnen etwas passiert?" Ihr wurde nicht einmal bewußt, daß sie aus Angst um Steven beinahe den Verstand verlor. Selten zuvor hatte sie eine so entsetzliche Angst empfunden wie in diesen Minuten. "Mister Winslow! Mister Winslow!" Ihre Stimme hallte durch den Park.
Die junge Frau erreichte den Turm. Aus allen Richtungen waren die Bediensteten der Winslows herbeigestürmt, aber keiner von ihnen hatte es gewagt, in das alte Gemäuer einzudringen. Die warnenden Zurufe ignorierend ging Sharon geduckt durch die Tür. Der dichte, schwere Staub raubte ihr fast den Atem.
Sharon kam nicht weit. Schon zwei Meter hinter dem Eingang versperrte ihr ein Teil der herabgestürzten Decke den Weg. "M ister Winslow", rief sie wieder und versuchte verzweifelt, etwas zu erkennen. Doch es war fast unmöglich; der Staub hatte sich noch nicht gelegt. Hustend, fast blind versuchte sie, sich mit den Händen einen Weg zu ertasten.
Plötzlich hörte sie ein schwaches Stöhnen. Es kam ganz aus der Nähe.
"Steven - Mister Winslow!"
"Mistreß Miles", hörte sie Steven flüstern. "Hier bin ich. Ich bin eingeklemmt. Ich ..." Der Rest seiner Worte wurde von einem Hustenanfall erstickt.
"Seien Sie vernünftig, Mistreß Miles." Die beiden Gärtner zogen Sharon ins Freie. "Wir erledigen das", versprachen sie und kehrten in den Turm zurück.
Sharon sah ein, daß sie zu schwach war, um Steven unter den Trümmern der Decke hervorzuziehen. An Mrs. Hale gedrängt, beobachtete sie, wie auch einige der anderen Männer den Turm betraten. Sie hörte Fluchen und Poltern, einen halb unterdrückten Schme rzensschrei.
"Hat jemand schon den Notarzt verständigt?" fragte sie und sah Jones an.
"Ein Krankenwagen ist bereits unterwegs", beruhigte sie der Butler.
"Wir schaffen es", drang eine vor Staub heisere Stimme aus dem Turm. Keine fünf Minuten später wurde Steven nach draußen getragen und vorsichtig auf den Rasen gelegt.
Sharon kniete sich neben ihn. "Wie geht es Ihnen?" fragte sie. Besorgt blickte sie in das verschrammte Gesicht des Bildhauers.
"Es ging mir schon besser", murmelte er. "Ich begreife das nicht. Die Deckenbalken sind äußerst stabil." Er versuchte, den Kopf in Richtung Turm zu drehen.
"Die Balken hätten erneuert werden müssen", bemerkte Jones vorwurfsvoll. "Warum haben Sie nicht auf mich gehört, Master Steven? Das Atelier hat jahrelang leergestanden, niemand hat es benutzt. Sicher haben die Balken zu faulen angefangen." Er drückte die Hand des jungen Mannes. "Sie hatten großes Glück."
Stevens Körper wurde von einem heftigen Hustenanfall g eschüttelt. Er preßte eine Hand auf seine Lippen. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz.
"Vermutlich haben Sie sich ein paar Rippen gebrochen, Master Steven", meinte Mrs. Hale. "Daß Sie aber auch immer etwas a nstellen müssen. So waren Sie schon als kleiner Bub. Niemals konnte man sicher sein, Sie heil und gesund zurückzubekommen."
"Da kommt der Krankenwagen!" rief eines der Hausmädchen.
"Wo ist mein Bruder?" fragte Steven.
"Mit Miß Price ausgeritten", erwiderte Sharon. "Er ..." Übe rrascht sah sie, wie Lord Winslow und Jessica Price quer über den Rasen auf den Turm zuritten. Sie hatte angenommen, daß sie nicht vor dem Lunch von ihrem Ausritt zurückkommen würden.
Der Krankenwagen hatte wenige Meter von ihnen entfernt g ehalten. Zwei Sanitäter rannten mit einer Trage auf Steven zu. Der Notarzt folgte ihnen. Er kniete sich neben Steven ins Gras und begann, ihn zu untersuchen.
"Was ist denn hier passiert?" Lord Winslow sprang vom Pferd.
"Die Atelierdecke ist eingestürzt", berichtete Mrs. Hale. "Ihr Bruder hatte großes Glück, nicht von ihr erschlagen zu werden, Euer Lordschaft. Wie es aussieht, ist ihm nicht allzu viel passiert." Kopfschüttelnd blickte sie zu dem jungen Mann. "Gott sei Dank ist Master Steven unter einem guten Stern geboren worden."
Lord Winslow murmelte etwas Unverständliches. Er blickte durch die offene Turmtür in das dahinterliegende Tohuwabohu. "Wir hätten den Turm schon längst abreißen lassen sollen", b emerkte er, als er sich umwandte. "Es war verrückt, dort ein Atelier einzurichten. Ich hätte niemals meine Erlaubnis dazu geben dürfen." Mit wenigen Schritten war er bei seinem Bruder. "Wie sieht es aus?" fragte er den Arzt, der noch immer neben dem Patienten kniete.
"Bis auf mehrere
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