Die verlorene Tochter (Romantik Thriller /Unheimlich) (German Edition)
Chance bot, Julie abzusichern, so mußte sie sie nutzen. Sie fand es außerordentlich großzügig von ihrem Chef, daß er sich um ihre Tochter kümmern wollte. Was konnte dagegen sprechen?
Die Bibliothekstür schwang auf. Julie rannte, gefolgt von Robin, über den dicken Teppich. "Wir müssen uns mit dem Mittagessen beeilen, Mommy", sagte sie, als sie ihre Mutter umarmte. "Kann ich mich jetzt schon umziehen? Zu Dennis` Geburtstag möchte ich mein schönstes Kleid tragen."
Sharon hob ihre Tochter hoch. "Nein, umgezogen wird sich erst nach dem Lunch", erwiderte sie, "oder möchtest du mit S oßenflecken auf dem Kleid zur Geburtstagsfeier gehen?"
"Eine Lady bekleckert sich nicht", erklärte die Kleine und sah sie selbstbewußt an. "Eine Lady weiß immer, was sich gehört."
"Wollen wir es hoffen", meinte Sharon und stellte Julie auf den Boden. Ich habe das Richtige getan, dachte sie. Es war kein Fehler, den Vertrag zu unterschreiben. Mit Lord Winslow an ihrer Seite würde Julie in eine glänzende Zukunft gehen.
15. Kapitel
Sharon blickte ihrer kleinen Tochter nach, die von John Kelly zur Vorschule gefahren wurde. Sie wollte sich gerade wieder dem Haus zuwenden, als sie Jessica Price quer durch den Park reiten sah. Die junge Frau erschien ihr wie eine leibhaftig gewordene Göttin Diana. Auch wenn sie für Miß Price nichts übrig hatte, sie für geistlos, eingebildet und intrigant hielt, sie mußte zugeben, daß sie auf dem Pferd eine ausgezeichnete Figur machte. Kein Wunder, daß ihr die Männer zu Füßen lagen und sie sich vor Verehrern kaum retten konnte.
Die Sekretärin nahm an, daß es das war, was Lord Winslow für Jessica so reizvoll machte. Der Herr von Winslow Manor zeigte der jungen Frau nur allzu deutlich, daß sie für ihn nicht mehr als eine Freundin war. Scheinbar hatte sie sich vorgenommen, ihn unter allen Umständen einzufangen.
Miß Price brachte ihr Pferd kurz vor Sharon zum Stehen. Sie beugte sich zu der jungen Frau hinunter. "Lord Winslow und ich sind zum Reiten verabredet. Wissen Sie, ob er bereits zu den Stallungen gegangen ist?"
"Vor zehn Minuten, Miß Price", erwiderte Sharon freundlich.
"Danke." Jessica schenkte ihr ein hochmütiges Nicken, dann preßte sie ihre Schenkel in die Seiten des Pferdes und galoppierte davon.
Sharon stieg die Eingangsstufen hinauf und betrat die Halle. Sie wandte sich gleich der Bibliothek zu. Für diesen Vormittag hatte sie sich eine Menge Arbeit vorgenommen. Es gab einiges, was sie aufarbeiten mußte. Zudem war sie gerade mit einem b esonders interessanten Teil der Chronik beschäftigt.
Nach wie vor machte ihre Arbeit der jungen Frau große Fre ude. Manchmal träumte sie sogar nachts von der Familiengeschichte der Winslows. Man konnte nicht gerade sagen, daß die einzelnen Mitglieder dieser Familie ein langweiliges Leben geführt hatten. Immer wieder waren sie im Laufe der Jahrhunderte in bedeutsame Ereignisse verwickelt gewesen.
Aber dennoch konnte sich Sharon an diesem Vormittag nur schwer auf ihre Arbeit konzentrieren. Immer wieder blickte sie auf, stützte den Kopf in die Hände und dachte an Steven. Sie ve rachtete sich dafür. Sie verstand nicht, warum gerade Steven Winslow einen derartigen Eindruck auf sie machte. Gut, er war nett und freundlich, aber es gab auch einiges, was gegen ihn sprach. Abgesehen davon, daß sie ihm nicht restlos vertraute, war sie sich gar nicht so sicher, ob er nicht doch mit der Frau seines Bruders ein Verhältnis gehabt hatte. Maureen mußte ihm jedenfalls eine ganze Menge bedeutet haben. Kein Wunder, daß Vincent ihn immer noch haßte, auch wenn er versuchte, es nicht mehr so offen zu zeigen.
"Und kannst du etwa Lord Winslow restlos vertrauen?" fragte sie sich halblaut. Nachdenklich blickte sie zum Fenster. Woher wollte sie wissen, ob er sie nicht angelogen hatte?
Sharon zwang sich, sich wieder ihrer Arbeit zuzuwenden. Sie war gerade dabei, ein paar Sätze in die Maschine zu tippen, als ein fürchterliches Krachen und Poltern sie zusammenfahren ließ. Erschrocken sprang sie auf und rannte zum Fenster. Fassungslos sah sie, wie aus der Tür des alten Turms dicker weißlicher Staubnebel quoll.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stürzte die junge Frau in die Halle hinaus und stieß fast mit dem Butler zusammen, der ebenfalls auf dem Weg nach dra ußen war.
"Seien Sie vorsichtig, Mistreß Miles!" rief er ihr nach. "Ich h abe Master Steven immer gewarnt, ihm gesagt, daß eines Tages die Decke einstürzen wird.
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