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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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an Rußland fiel, zu russischen Untertanen geworden, das erklärt ihre Einstellung.
    Die große Hitze setzte den Russen genauso zu wie ihren Gegnern, doch bekamen sie von den Bauern manchmal wenigstens Milch. Sonst erging es ihnen wie Leutnant Alexander Durow von den litauischen Ulanen (2. West-Armee, 4. Kavallerie-Korps) – eigentlich einer Frau namens Nadeshda Durowa, die jahrelang als Mann verkleidet in der russischen Armee gedient hatte, bis man ihre wahre Identität entdeckte. Zar Alexander I. hatte ihr auf Grund ihrer Verdienste danach als erster Frau der russischen Armee das Offizierspatent zuerkannt und 1807 sogar die höchste Tapferkeitsauszeichnung verliehen. »Der Durst verbrennt mein Inneres; nirgends gibt es Wasser außer in den Straßengräben; ich stieg wieder vom Pferd und gelangte mit großer Unbequemlichkeit an das widerwärtige Wasser ganz am Grunde des Grabens, es war warm und grün; ich sammelte es in eine Flasche, und als ich mit dieser Kostbarkeit wieder aufs Pferd gestiegen war, ritt ich noch fünf Werst, wobei ich die Flasche vor mir auf dem Sattel hielt und mich weder entschließen konnte, das ekelhafte Zeug zu trinken, noch es wegzuwerfen; doch was bewirkt nicht die Notwendigkeit! Es endete damit, daß ich das höllische Naß trank …«
    Nicht nur das Klima, auch der ständige Rückzug bedrückte die russischen Soldaten, zumal die Offiziere, die vom Angriff träumten. »Es ist unverständlich! Warum läßt man uns immerzu retirieren, ohne die Schlacht anzunehmen«, empört sich Leutnant Boris Uxkull von der 1. West-Armee am 5. Juli in seinem Tagebuch. »Unsere Armee ist ja so zahlreich. Wir haben einen Marsch von 50 Werst gemacht. Unser Quartier ist eines der Dörfer, die dem Grafen Manuzzi gehören; es ist hübsch gelegen. Der Graf, der seine Residenz zwei Werst vonhier hat, hat den Kaiser bei sich empfangen. (…) All das wird bald der Raub der Flammen werden; die Franzosen, sagt man, zeichnen sich auf ihrem Marsch durch die gräßlichsten Grausamkeiten aus, sie rauben, zerstören, verbrennen alles, was sie auf ihrem Wege vorfinden. Es ist traurig, zu sehen, wie die Bauern mit ihren Familien die Orte verlassen, in denen sie geboren sind. Aber was mich am meisten zurückstößt, ist, daß die Felder, die voller Korn stehen, von den Pferden der Kavallerie niedergetreten werden. Es gibt keine Ordnung mehr bei uns, soweit es Lebensmittel und Fourage betrifft. Jeder nimmt, was er findet.«
    Die Gefechte zwischen den Russen und der Grande Armée nahmen zu, je mehr Napoleon auf Witebsk vorrückte. Dabei wirkten ihre Niederlagen bei Mohilew (23. Juli) und Ostrowno (25. Juli) auf die Russen keineswegs demoralisierend, zumal sie ja aus den Kämpfen bei Jakubowo (30. Juli bis 2. August) und Swolna (11. August) als Sieger hervorgingen; im Kampf mit den Invasoren hatten sich die Verteidiger gut behauptet und Mut gewonnen. Bei Inkowo (8. August) griff das 10 000 Reiter zählende Kosakenkorps des Hetmans Platow der 1. West-Armee unvermutet und mit weit überlegenen Kräften die 2. Leichte Kavallerie-Division (Franzosen, Preußen, Polen, Württemberger) General Sébastianis an und jagten sie in die Flucht, bis endlich die Württemberger Artillerie heranführen konnten und den Angriff zurückschlugen. »Die Feinde baten nicht um Pardon, und die russischen Truppen erschlugen und erstachen sie in ihrer Wut«, kommentierte Platow. Die Ursachen dieser Wut schilderte er in einem Brief an seinen Oberkommandierenden Barclay de Tolly: »Ich muß Eure Exzellenz davon in Kenntnis setzen, wie die Franzosen den Krieg führen, auf eine Art und Weise, die man nur von Barbaren erwarten kann. Sie plündern Dörfer und Güter, prügeln die Bewohner, notzüchtigen die Frauen und Töchter, verfahren unbarmherzig mit den Geistlichen, schlagen und binden sie und erpressen Geld von ihnen. Nicht einmal die Kirchen sindvor ihrer Wut sicher; sie rauben die heiligen Gefäße, den Kirchenschmuck etc.« Für die Russen war der Gegner auch ein Feind des Glaubens; die Soldaten der Grande Armée schienen ihnen vom Satan selbst geleitet, und die orthodoxe Geistlichkeit versäumte nicht, den schier apokalyptischen Aspekt dieses Krieges besonders der Landbevölkerung einzuprägen. Nicht nur das Vaterland, auch den christlichen Glauben selbst galt es zu verteidigen.
    Man könne eher von einem »Raub- als Feldzug« sprechen, charakterisierte Hauptmann August von Thurn und Taxis die Erfahrungen des 6. Armeekorps, zu dem die Bayern

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