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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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gehörten. So empfanden es die meisten. Die Russen bekam man erst vor Witebsk zu Gesicht, und da die Mehrheit der Soldaten unterernährt war, galt als ihr erstes Ziel, endlich einmal satt zu werden. Die zahlreichen Feldbäckereien konnten kein Brot backen, weil es kein Mehl gab; und gab es Mehl, dann fehlte es an Wagen und kräftigen, nicht gleichfalls unterernährten Pferden, das Brot dahin zu bringen, wo es gebraucht wurde. Bewundernd beobachtete Regimentsarzt von Roos, mit welcher Geschicklichkeit französische Soldaten sich ihr eigenes Brot zu backen verstanden: Sie »hatten ein Wassergefäß mit Brotteig, den einige in brotförmige Kuchen kneteten, andere, die um das Feuer saßen, in die glühenden Kohlen und Asche steckten, und mit ihren Säbelklingen oft wendeten, um das Anbrennen zu verhüten; sie wiederholten diese Wendungen so lange, bis der Teig hart und rösch wurde. Wieder andere klopften die anklebende Asche und die Kohlenstückchen ab, machten das Brot rein und legten es zur Seite, bis der ganze Vorrat von Teig verbacken war; dann erst wurde geteilt.«
    Leutnant Carl von Wedel, dessen französisches Kavallerie-Regiment von Zeit zu Zeit besser verpflegt wurde, erwähnt stolz seine im Feld erlernten Fertigkeiten: »Ich war ein guter Feldkoch geworden, bereitete vortreffliche Beefsteaks und Omeletten und verstand Hühner zu sieden und zu braten. Ichdenke noch mit Vergnügen daran, wie herrlich mir die selbstbereiteten Gerichte schmeckten und wie Hunger, Strapazen und der stete Genuß der frischen Luft den Appetit schärften und die Speisen würzten.«
    Der inzwischen zum Oberleutnant beförderte Heinrich von Brandt, dessen Weichsel-Legion man inzwischen ins 1. Armeekorps eingegliedert hatte, war froh, daß er unter dem Befehl des Marschalls Louis-Nicolas Davout stand. Dieser Marschall war überaus gefürchtet wegen seiner Genauigkeit und Unnachsichtigkeit, und niemand achtete so sehr auf absolute Disziplin: »Dem Eifer und der Strenge, womit der Marschall die Proviantierung betrieb, war es zu danken, daß wir stets gut und regelmäßig verpflegt waren und daß sich alle Regimenter beim Aufbruch im Besitze von einer 14tägigen Ration in Brot, Grütze, Mehl, Schnaps und Fleisch (…) befanden. Der Marschall schickte ab und zu unvermutet Offiziere, welche die Vorräte revidieren mußten; tägliche Verpflegungsrapporte mußten dartun, was in den letzten 24 Stunden geerntet, gedroschen, gebacken, gebrannt und an Nahrungsmitteln eingegangen war. Auf fünf Tage Lebensmittel hatten wir beim Abmarsch auf den Tornistern, für neun Tage war auf Wagen verpackt, die unter einer sehr strengen Kontrolle standen. Ich glaube, daß die Art und Weise, wie der Marschall das Ganze überwachte, als Muster empfohlen werden kann.« Offenbar fehlte den Deutschen die von Roos beobachtete Improvisationsgabe der Franzosen. Oberstleutnant Marcellin de Marbot, stellvertretender Kommandeur des 23. Regiments der französischen Jäger zu Pferd (2. Armeekorps, 5. Leichte Kavallerie-Brigade), unterhielt sogar eine eigene Viehherde, was insofern möglich war, als sein Regiment für mehrere Wochen ein Lager bei Luchonski an der Polota bezog. Hier gab es Anfang August noch ungemähte Kornfelder, die seine Jäger abmähten, ausdroschen und in kleinen Handmühlen zu Mehl verarbeiteten. Zwei an der Polota gelegene Wassermühlen wurden instand gesetzt und für die Pferde Stallungen errichtet.
    Marbots Regiment stand in der Nähe des 6. Armeekorps, in dem auch die Bayern zusammengeschlossen waren, auf die er nicht gut zu sprechen ist. Sie hätten nichts getan, »um Hunger und Krankheit von sich fernzuhalten«, und obwohl ihr General, Graf Wrede, »sie zur Nachahmung unseres Vorbildes anzuspornen bemüht gewesen sei«, hätten sie keinen Finger gerührt, »es sich gleich angenehm zu machen«. Marbot konnte diese völlige Gleichgültigkeit nicht begreifen. »Seit sie keine regelmäßigen Lieferungen mehr erhielten, hatte sich ihrer ein düsterer Geist bemächtigt, eine Art Inidifferentismus, der alles über sich ergehen läßt. Bald starben sie auch wie die Fliegen, und vielleicht wäre nicht ein einziger von ihnen leben geblieben, wenn nicht endlich einmal der Marschall Saint-Cyr seine gewöhnliche Gleichgültigkeit abgestreift und die Kommandeure der französischen Regimenter angewiesen hätte, den Bayern täglich Lebensmittel zukommen zu lassen.«
    Der bayerische Korporal Friedrich Mändler schilderte die Lage der Bayern doch etwas anders und

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