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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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habe.« Er inspizierte die Kette. »Aber sie ist intakt, sie muss sie also abgenommen haben.« Als er Dolly von der Seite ansah, schlug sie beschämt die Augen nieder. Ob er Vivien wohl so anschaute, fragte sie sich, wenn er ihr das Kleid abstreifte und das Medaillon zur Seite schob, um sie zu küssen? »Sie sagten, sie hat es verloren?«, fuhr Henry Jenkins fort. »Wo kann das gewesen sein?«
    »Ich …« Dollys Gedanken ließen sie erröten. »Das weiß ich nicht genau. Ich habe es nicht gefunden, wissen Sie, es wurde mir anvertraut, damit ich es Vivien zurückbringe. Weil wir ja Freundinnen sind.«
    Er nickte langsam. »Tja, Mrs. Smitham …«
    » Miss Smitham.«
    »Miss Smitham.« Seine Mundwinkel zuckten, die Andeutung eines Lächelns, das Dolly noch mehr erröten ließ. »Auf die Gefahr hin, unverschämt zu wirken, ich frage mich, warum Sie meiner Frau das Medaillon nicht in der Kantine zurückgegeben haben. Das wäre doch viel bequemer für eine so vielbeschäftigte junge Dame wie Sie gewesen.«
    Vielbeschäftigte junge Dame . Das klang nicht schlecht. »Nun, es ist einfach so: Ich weiß, wie viel Vivien dieses Medaillon bedeutet, und ich wollte, dass sie es so bald wie möglich wiederbekommt. Wir arbeiten zurzeit in verschiedenen Schichten, verstehen Sie.«
    »Wie merkwürdig.« Seine Hand schloss sich um das Medaillon. »Meine Frau hat doch jeden Tag Dienst in der Kantine.«
    Ehe Dolly ihm erklären konnte, dass niemand jeden Tag in der Kantine arbeitete, dass es einen Schichtplan gab und eine Mrs. Waddingham, die alles genau unter Kontrolle hatte, wurde ein Schlüssel im Schloss der Haustür gedreht.
    Vivien war nach Hause gekommen.
    Dolly und Henry Jenkins schauten erwartungsvoll zur Wohnzimmertür und lauschten auf Viviens Schritte in der Eingangshalle. Dolly jubilierte innerlich, als sie sich vorstellte, wie glücklich Vivien sein würde, wenn Henry ihr das Medaillon gab, wenn er ihr erklärte, dass Dolly es zurückgebracht hatte, wie dankbar Vivien ihr sein würde, wie sie strahlen und ausrufen würde: »Ach, Henry, Liebling, ich freue mich so sehr, dass du Dorothy endlich kennengelernt hast. Ich wollte sie schon so lange zum Tee einladen, aber in letzter Zeit hatten wir einfach so viel zu tun.« Dann würde sie einen Scherz über den alten Drachen Mrs. Waddingham machen, und sie würden sich halb tot lachen, und Henry würde vorschlagen, dass sie alle zusammen zum Dinner gehen sollten, vielleicht in seinem Club …
    Die Wohnzimmertür öffnete sich, und Dolly richtete sich auf. Henry nahm seine Frau in die Arme. Es schien, als wolle er sie gar nicht mehr loslassen, als könne er nicht genug bekommen von ihrem Duft; es war so romantisch, dass es Dolly einen kleinen Stich versetzte, zu sehen, wie sehr Henry Jenkins seine Frau liebte. Natürlich wusste sie das längst, schließlich hatte sie Die widerspenstige Muse gelesen, aber es jetzt in ihrem Haus so hautnah mitzuerleben war etwas ganz anderes. Was dachte Vivien sich bloß dabei, sich mit diesem Arzt einzulassen, wenn sie einen Mann hatte, der sie so abgöttisch liebte?
    Der Arzt. Dolly betrachtete Henrys Gesicht, wie er mit geschlossenen Augen Viviens Kopf an seine Brust drückte. Er hielt sie so fest umschlungen, dass man hätte meinen können, sie sei monatelang verschwunden gewesen und er hätte schon das Schlimmste befürchtet. Und plötzlich wurde ihr klar, dass er Bescheid wusste. Seine Empörung über Viviens Verspätung, seine argwöhnischen Fragen, die gereizte Art, mit der er über seine geliebte Frau gesprochen hatte … Er wusste es. Oder zumindest hatte er einen Verdacht. Und er hatte gehofft, Dolly könnte ihm seinen Verdacht bestätigen – oder ihn davon befreien. Ach, Vivien , dachte sie händeringend, während sie den Rücken ihrer Freundin betrachtete. Sei bloß vorsichtig .
    Endlich ließ Henry seine Frau los und hob ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu sehen. »Wie war dein Tag, mein Herz?«
    Vivien nahm ihre Uniformmütze ab. »Viel zu tun«, sagte sie, während sie ihr Haar in Ordnung brachte. Sie legte die Mütze auf einen kleinen Tisch, auf dem ein gerahmtes Foto von ihrer Hochzeit stand. »Wir sind dabei, Schals in Kartons zu verpacken, die Nachfrage ist enorm. Es dauert alles viel länger als erwartet.« Sie seufzte. »Ich wusste nicht, dass du heute so früh zu Hause sein würdest, sonst wäre ich rechtzeitig gekommen.«
    Er lächelte, ein trauriges Lächeln, so schien es Dolly, und sagte: »Ich wollte dich

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