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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Notizheft die genaue Summe eintrug, die er dem Taxifahrer dafür gezahlt hatte (3 Shilling, 5 Pence), dass er die Familie samt Gepäck (zusätzlich 3 Pence) zum Bahnhof gefahren hatte. Die Liste würde ihn während ihres Aufenthalts in Bournemouth noch lange beschäftigen, und nach ihrer Rückkehr nach Coventry würde er einen ganzen Abend lang – mit der Familie als widerwilligem Publikum – damit verbringen, die Ergebnisse seiner Berechnungen zu präsentieren. Er hätte Tabellen angelegt, die Kosten und Ausgaben mit denen des Vorjahrs verglichen (und, wenn sie Pech hatten, mit denen der letzten zehn Jahre), und er würde sich vornehmen, im kommenden Jahr noch effizienter zu wirtschaften, um dann an seinen Arbeitsplatz als Buchhalter beim Fahrradhersteller H. G. Walker Ltd. zurückzukehren und das nächste Arbeitsjahr in Angriff zu nehmen.
    Dollys Mutter saß am Fenster des Abteils und betupfte mit einem Batisttaschentuch ihre Nase, sehr diskret, das Taschentuch fast ganz in ihrer Hand verborgen, und warf ab und zu einen verstohlenen Blick zu ihrem Mann hinüber, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht gestört fühlte und sich konzen triert und mit grimmigem Vergnügen seinem Notizheft widmen konnte. Janice Smitham besaß das seltene Talent, sich jedes Jahr einen Tag vor dem Sommerurlaub eine Erkältung einzufangen. Dolly hätte die Tatsache denkbar gleichgültig gelassen, wäre da nicht dieses unaufhörliche, feine Schniefen gewesen, das Dolly derart auf die Palme brachte, dass sie sich am liebsten Watte in die Ohren gestopft hätte. Auch alles andere war schrecklich vorhersehbar: Ihr Vater würde sich zum König der Sandburgen aufschwingen, und ihre Mutter würde sich über den Schnitt von Dollys Badeanzug aufregen und dafür sorgen, dass Cuthbert sich mit »anständigen Jungs« anfreundete.
    Der arme Cuthbert. Er war so ein süßes Baby gewesen, ein richtiger kleiner Strahlemann, und es hatte Dolly gerührt, wie er immer geweint hatte, wenn sie das Zimmer verließ. Aber je mehr er heranwuchs, umso deutlicher wurde für alle erkennbar, dass er seinem Schicksal nicht entkommen würde, ein getreues Abbild von Mr. Arthur Smitham zu werden. Was leider bedeutete, dass Dolly und Cuthbert, obwohl sie sich mochten, unmöglich vom selben Fleisch und Blut sein konnten, was die Frage aufwarf: Wer waren Dollys wirkliche Eltern, und wie war sie in diese traurigen Verhältnisse geraten?
    Zirkusleute? Hochseilartisten womöglich? Denkbar wär’s. Sie betrachtete ihre Beine, sie waren lang und schlank. Sie war schon immer gut in Sport gewesen: Mr. Anthony, der Sportlehrer, wählte sie jedes Jahr für das erste Hockeyteam aus, und wenn sie und ihre Freundin Caitlin im Wohnzimmer bei Caitlin zu Hause den Teppich aufrollten und Louis Armstrong auf dem Grammofon spielten, war Dolly sich ziemlich sicher, dass sie sich nicht nur einbildete, die bessere Tänzerin zu sein. Dolly schlug die Beine übereinander und glät tete ihren Rock. Es war natürliche Anmut, und das bewies doch wohl alles.
    »Kann ich am Bahnhof eine Zuckerstange haben, Vater?«
    »Eine Zuckerstange?«
    »Am Bahnhof. Aus dem kleinen Laden.«
    »Das weiß ich noch nicht, Cuthbert.«
    »Aber Vater …«
    »Wir müssen sparsam mit unserem Geld umgehen.«
    »Aber Mutter hat gesagt …«
    »Sei still, Cuthbert. Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat.«
    Dolly wandte sich ab und betrachtete die vorbeifliegenden Felder. Zirkusleute – das schien ihr das Wahrscheinlichste zu sein. Pailletten und glitzernder Schmuck, nächtliche Stunden im hohen, spitzen Zelt, das leer war, aber immer noch erfüllt vom Staunen und der Bewunderung des hingerissenen Publikums. Glanz, Aufregung, Romantik – ja, das passte viel eher zu ihr.
    Das würde auch erklären, warum ihre Eltern sie jedes Mal so streng zur Ordnung riefen, wenn sie mit ihrem Verhalten »Aufmerksamkeit erregte«. »Die Leute werden kucken«, sagte ihre Mutter, wenn ihr Rock zu kurz war, ihr Lachen zu laut, ihr Lippenstift zu rot. »Du wirst alle Blicke auf dich ziehen. Du weißt doch, was dein Vater davon hält.« Das wusste Dolly allerdings. »Wehret den Anfängen« war einer seiner Lieblingssprüche, folglich lebte er wahrscheinlich in der permanenten Angst, dass Dollys Veranlagung zum Lotterleben eines Tages wie Fäulnis durch die Fassade aus Sitte und Anstand dringen würde, die er und seine Frau so gewissenhaft errichtet hatten.
    Dolly nahm heimlich ein Pfefferminzbonbon aus der Tüte in ihrer Rocktasche,

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