Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
Vom Netzwerk:
würde ihm das nicht gelingen. Niemals. »Mutter«, sagte sie plötzlich und ließ die Zeitschrift auf ihren Schoß sinken.
    »Ja, mein Liebes? Möchtest du ein Sandwich? Ich hab Krabbenpaste mitgebracht.«
    Dolly holte tief Luft. Sie konnte es fast nicht glauben, dass sie es sagen würde, hier und jetzt, einfach so, aber die Gelegenheit war günstig, und sie fasste sich ein Herz. »Mutter, ich möchte nicht bei Dad in der Fahrradfabrik arbeiten.«
    »Ach?«
    »Nein.«
    »So, so.«
    »Ich glaube, ich würde das nicht aushalten, jeden Tag das Gleiche tun, Briefe und Bestellungen tippen und das ewig gleiche Hochachtungsvoll .«
    Ihre Mutter schaute sie mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an. »Ich verstehe.«
    »Oh.«
    »Und was möchtest du stattdessen machen?«
    Dolly war sich nicht sicher, wie sie die Frage beantworten sollte. Über die Einzelheiten hatte sie noch nicht nachgedacht, sie wusste nur, dass es irgendwo etwas gab, das auf sie wartete. »Ich weiß nicht … Aber die Fahrradfabrik, das ist einfach nicht der richtige Ort für eine wie mich, findest du nicht?«
    »Warum denn nicht?«
    Sie wollte es nicht aussprechen müssen. Sie wollte, dass ihre Mutter sie verstand, von allein darauf kam. Dolly suchte nach den passenden Worten, während die unterschwellige Enttäuschung ihr die Hoffnung zu nehmen drohte.
    »Es wird Zeit, dass du dich für etwas entscheidest, Dorothy«, sagte ihre Mutter liebevoll. »Du bist fast eine erwachsene Frau.«
    »Ja, aber genau das …«
    »Schlag dir die Kinderträume aus dem Kopf. Die Zeiten für solche Dinge sind vorbei. Er wollte es dir selber sagen, dich überraschen, aber dein Vater hat bereits mit Mrs. Levene, der Chefsekretärin, gesprochen und einen Termin für ein Vorstellungsgespräch vereinbart.«
    »Was?«
    »Ich sollte es dir eigentlich nicht verraten, aber der Termin ist in der ersten Septemberwoche. Du kannst dich glücklich schätzen, einen Vater zu haben, der so großen Einfluss hat.«
    »Aber ich …«
    »Dein Vater weiß, was das Beste für dich ist.« Janice Smitham streckte eine Hand aus, um Dollys Bein zu tätscheln, aber ihr Arm war zu kurz. »Du wirst schon sehen.« Ein Anflug von Angst flackerte hinter ihrem aufgesetzten Lächeln auf, als spürte sie, dass sie dabei war, ihrer Tochter in den Rücken zu fallen, wenn sie auch nicht zu sagen gewusst hätte, auf welche Weise.
    Dolly kochte vor Wut. Sie hätte ihre Mutter am liebsten geschüttelt, um sie daran zu erinnern, dass sie früher auch einmal etwas Besonderes gewesen war, hätte sie am liebsten gefragt, warum sie für ihren Mann alles aufgegeben hatte … Aber da –
    »Vorsicht!« – ertönte ein Schrei am Strand, der Dollys Aufmerksamkeit ablenkte und Janice Smitham ein Gespräch ersparte, das sie nicht führen wollte.
    Dort, in einem Badeanzug wie von der Titelseite der Vogue , stand die junge Frau, die eben noch das silberne Kleid angehabt hatte. Sie hatte die Lippen zu einem hübschen Schmollmund verzogen und rieb sich den Arm. Ihre Freunde hatten sich um sie geschart, schnalzten mit der Zunge und schüttelten den Kopf, und Dolly reckte sich, um zu sehen, was da vor sich ging. Ein junger Mann, etwa in ihrem Alter, bückte sich, um etwas aus dem Sand aufzuheben, und als er sich wieder aufrichtete, hielt er – Dolly schlug eine Hand vor den Mund – einen Cricketball hoch.
    »Tut mir schrecklich leid, Leute«, sagte ihr Vater.
    Dollys Augen weiteten sich – was in aller Welt machte ihr Vater da? Gott, er versuchte doch nicht etwa, Kontakt aufzunehmen? Aber ja, sah sie mit Entsetzen, genau das tat er. Dolly wäre am liebsten im Erdboden versunken, aber sie konnte den Blick nicht vom Geschehen losreißen. Ihr Vater blieb vor den jungen Leuten stehen und schwang pantomimisch einen Cricketschläger. Die anderen nickten und hörten ihm zu, der junge Mann mit dem Ball sagte etwas, und die junge Frau hielt sich den Arm, zuckte die Schultern und schenkte Dollys Vater ihr Grübchenlächeln. Dolly atmete erleichtert auf. Die Katastrophe schien abgewendet.
    Doch dann, vielleicht beeindruckt von der glamourösen Welt, in die er da hineingestolpert war, trat ihr Vater nicht etwa den Rückzug an, sondern drehte sich um und richtete die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Stelle, wo Dolly und ihre Mut ter saßen. Mit einem Mangel an Würde, der ihrer Tochter zutiefst peinlich war, machte Janice Smitham Anstalten aufzustehen, überlegte es sich dann anders, traute sich aber nicht, sich nun wieder zu

Weitere Kostenlose Bücher