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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Beispiel?«
    »Na ja«, sie hob eine Schulter, »du könntest Leute dabei fotografieren, wenn sie etwas tun, das sie nicht tun sollten, ein unschuldiges Schulmädchen zum Beispiel, das sich von einem älteren Mann verführen lässt. Stell dir bloß mal vor, was der Vater des Mädchens sagen würde, wenn er davon erführe.« Sie biss sich auf die Lippe, um sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös sie war, und rückte näher an ihn heran, bis sie – fast, aber nicht ganz – seinen kräftigen, sonnengebräunten Unterarm berührte. Die Luft zwischen ihnen schien elektrisch aufgeladen. »Jemand könnte sich großen Ärger einhandeln, wenn er dich und deine Brownie zum Feind hätte.«
    »Dann solltest du wohl besser dafür sorgen, dass ich dir gewogen bleibe, oder?« Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Er wandte den Blick nicht ab, und Dolly spürte, wie ihr Atem flacher ging. Die Atmosphäre um sie herum hatte sich geändert. In diesem Augenblick, da er sie so intensiv anschaute, änderte sich alles. Etwas war außer Kontrolle geraten. Dolly schluckte, verunsichert und erregt zugleich. Etwas würde passieren, sie hatte es provoziert, und sie konnte es nicht aufhalten. Sie wollte es nicht aufhalten.
    Ein leiser Seufzer entfuhr seinen halb geöffneten Lippen, und Dolly schwanden fast die Sinne.
    Er schaute ihr unverwandt in die Augen, und jetzt streckte er eine Hand aus, um ihr die Haare hinter die Ohren zu schieben. Er ließ die Hand liegen, wo sie war, packte aber jetzt kräftiger zu, hielt sie im Nacken fest. Sie spürte, dass seine Finger zitterten. Als er ihr so nah kam, fühlte sie sich plötzlich wie ein kleines Kind, das der Sache nicht gewachsen war, und sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen (aber was?), doch er schüttelte kaum merklich den Kopf, und sie schloss den Mund wieder. Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte; er holte tief Luft; und dann zog er sie an sich.
    Tausendmal hatte Dolly sich schon ausgemalt, wie es sein würde, wenn ein Mann sie küsste, aber so hätte sie es sich nicht in ihrem kühnsten Traum vorstellen können. Wenn Katharine Hepburn und Fred MacMurray sich im Kino küssten, sah das zwar sehr schön aus (und Dolly und ihre Freundin Caitlin hatten an ihren Armen geübt, um zu wissen, was sie tun mussten, wenn es so weit war), aber das jetzt war etwas ganz anderes. Es war hitzig und heftig und gierig; sie schmeckte Sonne und Erdbeeren, roch das Salz auf seiner Haut, spürte die Wärme seines Körpers, als er sich an sie schmiegte. Aber das Aufregendste war, zu spüren, wie sehr er sie wollte – seine Atemlosigkeit, sein starker, muskulöser Körper, größer als sie, kräftiger, die Anspannung, mit der er sich seinem Verlangen widersetzte.
    Er löste seine Lippen von ihren und öffnete die Augen. Und dann lachte er, erleichtert und überrascht, es klang warm und heiser. »Ich liebe dich, Dorothy Smitham«, sagte er und lehnte seine Stirn an ihre. Zärtlich zupfte er an einem der Knöpfe an ihrem Kleid. »Ich liebe dich, und eines Tages werde ich dich heiraten.«
    Dolly sagte nichts, als sie zusammen den Hügel hinuntergingen, aber ihre Gedanken rasten. Er würde ihr einen Heiratsantrag machen! Die Fahrt nach Bournemouth, der Kuss, die Intensität ihrer Gefühle … Was hatte all das zu bedeuten? Die Erkenntnis war mit überwältigender Klarheit gekommen, und sie sehnte sich danach zu hören, wie er die Worte laut aus sprach, dass er es offiziell machte. Bis in die Zehenspitzen spürte sie die Sehnsucht.
    Es war die Antwort auf all ihre Fragen. Sie würde Jimmy heiraten. Wieso war ihr das nicht gleich in den Sinn gekommen, als ihre Mutter sie gefragt hatte, was sie denn stattdessen tun wollte, wenn sie nicht vorhatte, in der Fahrradfabrik zu arbeiten? Es war das Einzige, was sie tun wollte. Was sie tun musste.
    Dolly schaute verstohlen zu ihm hinüber, bemerkte seinen entspannten, glücklichen Gesichtsausdruck, seine ungewöhnliche Schweigsamkeit. Sie wusste, dass er dasselbe dachte wie sie, dass er sehr ernsthaft überlegte, wie er den Antrag am besten formulieren sollte. Sie war überglücklich. Ihr war nach Tanzen zumute.
    Es war nicht das erste Mal, dass er gesagt hatte, er würde sie eines Tages heiraten; sie hatten darüber gescherzt, wenn sie sich in Kneipen getroffen hatten in Gegenden der Stadt, wo ihre Eltern nie hinkamen. Es war ein Spiel: »Was wäre, wenn …« Ein Spiel, das Dolly schon immer aufregend gefunden hatte. In ihrem Tagtraum war auch ein idyllisch

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