Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
dass sie sich an Jimmys Arm festhalten musste, um nicht umzufallen.
»Es wird dir gefallen«, sagte sie zu ihm. »Ted Heath und seine Band sind einfach großartig, und Mr. Rossi, dem der Laden gehört, ist ein echter Schatz.«
»Du warst schon mal hier?«
»Na klar, schon oft.« Das war ein bisschen übertrieben – sie war ein einziges Mal in dem Club gewesen –, aber die kleine Schwindelei gehörte zu der Rolle, die sie von nun an vor ihm spielen wollte. Dolly lachte und drückte seinen Arm. »Nun sieh mich nicht so an, Jimmy. Kitty würde mich nie in Ruhe lassen, wenn ich sie nicht hin und wieder begleiten würde. Du weißt doch, dass du der Einzige bist, den ich liebe.«
Unten angekommen blieb Dolly vor der Garderobe stehen. Ihr Herz pochte wie wild; sie hatte diesem Augenblick entgegengefiebert, hatte geübt und geplant, und jetzt war es endlich so weit. Sie dachte an all die Geschichten, die Lady Gwendolyn ihr erzählt hatte, an all die Dinge, die sie und Penelope gemeinsam erlebt hatten, die Bälle, die Abenteuer, die feschen jungen Männer, die ihnen nachgestellt hatten; dann wandte sie Jimmy den Rücken zu und ließ ihren Mantel von den Schultern gleiten. Als er ihn auffing, drehte sie langsam eine Pirouette, genau so, wie sie es sich so oft ausgemalt hatte, dann warf sie sich in Pose und präsentierte (Trommelwirbel, Ladys und Gentlemen!) – das Kleid.
Es war rot, geschmeidig, glänzend – nur dazu geschaffen, jede Rundung des weiblichen Körpers zu betonen, und Jimmy ließ beinahe den Mantel fallen, als er es sah. Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinunter und wieder hoch; der Mantel wurde ihm abgenommen, eine Marke wurde ihm in die Hand gedrückt, und er ließ es willenlos geschehen.
»Du …«, begann er schließlich, »du siehst … Dieses Kleid ist unglaublich, Dolly.«
»Ach ja?« Sie zuckte die Schultern, so wie er es draußen getan hatte. »Das alte Kleid?« Dann grinste sie ihn an und war wieder Dolly, und als sie sagte: »Komm, gehen wir rein«, hätte er an keinem anderen Ort der Welt lieber sein wollen.
Dolly schaute sich um. Ihr Blick wanderte über den Bereich hinter der roten Kordel, die volle Tanzfläche, den Tisch, den Kitty als »Königliche Tafel« bezeichnet hatte, über die Bühne, wo die Kapelle spielte. Sie hatte gehofft, Vivien hier anzutreffen – Henry Jenkins war mit Lord Dumphee befreundet, The Lady brachte hin und wieder ein Foto von den beiden –, aber auf den ersten Blick konnte sie niemanden entdecken, den sie kannte. Egal, die Nacht war noch jung; die Jenkins würden vielleicht später noch kommen. Sie bugsierte Jimmy in den hinteren Teil des Raums, zwischen runden Tischen hindurch, an Leuten vorbei, die aßen, tranken und tanzten, bis sie vor dem mit der roten Kordel abgesperrten Bereich standen, wo Mr. Rossi sie begrüßte.
»Guten Abend«, sagte er, legte die Hände aneinander und deutete eine Verbeugung an. »Sie kommen zur Verlobung von Lord Dumphee, nehme ich an?«
»Was für ein fabelhaftes Ambiente«, gurrte Dolly, als verstehe sich die Antwort auf seine Frage von selbst. »Gott, ist das lange her – Lord Sandbrook und ich haben gerade noch gesagt, wir sollten häufiger nach London kommen.« Sie lächelte Jimmy aufmunternd zu. »Nicht wahr, Liebling?«
Die Andeutung eines Stirnrunzelns trübte Mr. Rossis Gesicht, während er verzweifelt versuchte, sie einzuordnen, aber es verflog so schnell, wie es gekommen war. Seine langjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man immer gut daran tat, die Angehörigen der High Society bei Laune zu halten. »Oh, Lady Sandbrook«, sagte er daher, nahm Dollys Hand und hauchte ihr einen Kuss auf die Finger. »Es war dunkel in London in Ihrer Abwesenheit, doch jetzt kehrt das Licht zurück.« Damit wandte er sich an Jimmy. »Lord Sandbrook! Wie geht’s, wie steht’s?«
Jimmy sagte nichts, und Dolly hielt den Atem an; sie wusste, was er von ihren »Spielchen« hielt, wie er sie nannte, und sie hatte gespürt, wie seine Hand an ihrem Rücken zusammengezuckt war, als sie den Mund aufgemacht hatte. Aber insgeheim musste sie zugeben, dass die Unsicherheit, wie er sich verhalten würde, die Sache nur noch spannender gemacht hatte. Während sie auf seine Reaktion wartete, nahm sie alles um sich herum verstärkt wahr: Sie hörte ihren eigenen Herzschlag, ein ausgelassenes Lachen in der Menge; irgendwo zerbrach ein Glas, und die Kapelle begann ein neues Stück …
Der kleine Italiener, der ihn als Lord Sandbrook
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