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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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dafür da waren, bewundert zu werden. Sie war außer Atem und mit schmerzenden Füßen in der Kantine eingetroffen, aber ihre Hoffnung, sich im Schutz der vielen lärmenden Soldaten unbemerkt hineinschleichen zu können, hatte sich nicht erfüllt. Sie wurde von der Gruppenleiterin Mrs. Waddingham erwischt, einer Frau mit Mondgesicht, die wegen eines schrecklichen Hautausschlags ständig Handschuhe trug und unabhängig vom Wetter immer schlecht gelaunt war.
    »Mal wieder zu spät, Dorothy«, hatte sie mit verkniffener Miene ausgerufen. »Ich brauche Sie in der Küche beim Suppeausgeben. Hier ist die Hölle los heute Abend.«
    Das Pech schien Dolly zu verfolgen: Ein kurzer Blick in die Runde hatte ihr gezeigt, dass sie sich vergebens beeilt hatte – Vivien war gar nicht da. Das verstand sie nicht, denn sie hatte sorgsam darauf geachtet, ihre Schichten so zu legen, dass sie immer mit Vivien zusammenarbeitete; sie hatte Vivien sogar noch vor einer Stunde vom Fenster aus zugewinkt, als ihre Freundin in der Uniform des Frauenfreiwilligendienstes das Haus verlassen hatte.
    »An die Arbeit, Mädel«, hatte Mrs. Waddingham gedrängt und mit ihrer behandschuhten Hand gewedelt. »Ab in die Küche. Der Krieg macht Ihretwegen gewiss keine Pause.«
    Dolly hatte dem Impuls widerstanden, der Frau einen Tritt vors Schienbein zu verpassen. Ach, aber der Gedanke allein tat schon gut. Sie hatte sich ein Grinsen verkniffen und Mrs. Waddingham artig zugenickt.
    Die Kantine war im Kellergewölbe der St. Mary’s Church eingerichtet worden, und die »Küche« war ein kleiner, zugiger Alkoven, wo ein langer, mit einem Tischtuch und ein paar Union Jacks bedeckter Klapptisch als Tresen diente. In einer Ecke befand sich ein kleines Waschbecken, daneben stand ein Paraffinherd, um die Suppe warm zu halten, und an der Wand eine ausrangierte Kirchenbank.
    Sie schaute sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand es bemerken würde: Der Raum war gefüllt mit emsig tätigen Zivilhelfern; ein paar Krankenwagenfahrer spielten Tischtennis; und die anderen Damen des Freiwilligendienstes saßen in der hinteren Ecke, strickten und tratschten. Auch Mrs. Waddingham hatte sich dem Strickkränzchen angeschlossen, sie saß mit dem Rücken zur Küche. Dolly glaubte daher, es wagen zu dürfen: Sie setzte sich und streifte ihre Schuhe ab; mit einem erleichterten Seufzer bewegte sie ihre Zehen auf und ab.
    Eigentlich war es den Mitgliedern des Freiwilligendienstes verboten, in der Kantine zu rauchen (Brandschutzbestimmungen), aber Dolly fischte heimlich eines der frischen, neuen Päckchen aus ihrer Tasche, die sie von Mr. Hopton im Lebensmittelladen bekommen hatte. Die Soldaten rauchten sowieso die ganze Zeit – niemand brachte es übers Herz, es ihnen zu verbieten –, und unter der Gewölbedecke hing ständig eine graue Wolke aus Tabakqualm. Dolly riss ein Streichholz an und gestattete es sich endlich, über das nachzudenken, was sich am Nachmittag ereignet hatte.
    Es hatte im Grunde ganz harmlos angefangen: Sie war nach dem Mittagessen zum Einkaufen geschickt worden, und wenn ihr das auch im Rückblick peinlich war, aber die Anweisung hatte ihr die Laune verdorben. In diesen Zeiten war es nicht einfach, Süßigkeiten zu beschaffen, jetzt wo der Zucker rationiert war, aber Lady Gwendolyn hatte noch nie ein Nein als Antwort akzeptiert, und so hatte Dolly durch die Gassen von Notting Hill laufen müssen, um den Onkel von einem Bekannten irgendeines Gewährsmannes aufzusuchen, der mit der illegalen Ware Handel trieb. Zwei Stunden später, als sie von ihrer Mission zurückgekehrt und gerade dabei war, Schal und Handschuhe abzulegen, hatte es an der Tür geklingelt.
    Schlecht gelaunt wie sie war, hatte Dolly damit gerechnet, dass es wieder irgendwelche Kinder waren, die Eisenwaren sammelten, die zur Produktion neuer Spitfires gebraucht wurden. Doch stattdessen hatte ein elegant gekleideter kleiner Mann mit dünnem Schnurrbart und einem leuchtend rosafarbenen Blutschwamm auf der Wange vor ihr gestanden. In der Hand hielt er eine große Aktentasche aus schwarzem Krokoleder, die fast aus den Nähten platzte.
    »Pemberly«, sagte er knapp. »Reginald Pemberly, Rechtsanwalt. Ich möchte zu Lady Gwendolyn Caldicott.« Dann beugte er sich vor und fügte in verschwörerischem Ton leise hinzu: »Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit.«
    Dolly hatte schon von Mr. Pemberly gehört, hatte ihn aber noch nie gesehen (»Eine halbe Portion von Mann, kann seinem Vater

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