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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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warten; da kann ich mein Mädel mal in Aktion erleben.« Er beugte sich über den Tisch, um ihr einen Kuss zu geben, aber Dolly wich ihm aus.
    »Ich bin bei der Arbeit«, versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Ich trage meine Uniform. Das gehört sich nicht.« Dass sie sich plötzlich auf die Etikette berief, schien ihn nicht zu überzeugen, also schlug Dolly einen anderen Kurs ein. »Hör zu«, sagte sie so heiter wie möglich. »Am besten, du suchst dir einen Platz … hier hast du eine Tasse Suppe … Ich mache gleich Feierabend, hole meinen Mantel, und dann können wir gehen. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Sie schaute ihm nach, bis er sich am Ende des Raums an einen Tisch setzte. Dollys Hände zitterten. Was in aller Welt dachte er sich dabei, hierherzukommen, wo sie ihm doch klipp und klar gesagt hatte, dass sie sich im Restaurant treffen würden? Wenn Vivien wie geplant ihre Schicht angetreten hätte, wäre Dolly nichts anderes übrig geblieben, als die beiden einander vorzustellen, und das wäre ihr gar nicht recht gewesen. Sich im 400 Club als fescher Lord Sandbrook auszugeben war eine Sache, aber hier aufzukreuzen, in seiner üblichen, zerschlissenen Kleidung, noch ganz verschmutzt von seinem nächtlichen Einsatz … Dolly schüttelte sich bei dem Gedanken, was Vivien ge sagt hätte, wenn ihr klar geworden wäre, dass Dolly einen Freund wie Jimmy hatte. Schlimmer noch – was würde passieren, wenn Lady Gwendolyn davon erfuhr? Bisher hatte Dolly es geschafft, den beiden Jimmys Existenz zu verheimlichen. Sie wollte, dass die zwei Welten, in denen sie lebte, fein säuberlich getrennt blieben. Das setzte aber voraus, dass Jimmy sich gefälligst an ihre Abmachung hielt.
    Dolly zwängte ihre Füße in ihre engen, hübschen Schuhe und biss sich auf die Unterlippe. Es war kompliziert, und sie würde es ihm nie erklären können, jedenfalls nicht so, dass er es verstand und ohne seine Gefühle zu verletzen. Er gehörte nicht hierher in die Kantine, genauso wenig wie er in die Villa in der Campden Grove Nr. 7 gehörte oder hinter die rote Kordel im 400 Club. Anders als sie.
    Dolly schaute von Weitem zu, wie er seine Suppe aß. Sie hatten so viel Spaß gehabt neulich im 400 Club und nachher in ihrem Zimmer; aber die Leute in diesem Teil ihres Lebens durften nichts davon wissen, Vivien nicht und Lady Gwendolyn erst recht nicht. Dolly wurde beinahe übel bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn die alte Dame es erführe. Es würde ihr ein zweites Mal das Herz brechen, wenn sie befürchten müsste, dass sie Dolly auf die gleiche Weise verlieren könnte, wie sie damals ihre Schwester verloren hatte …
    Dolly stieß einen traurigen Seufzer aus und ging ihren Mantel holen. Sie würde mit ihm reden müssen, ihm auf schonende Weise beibringen müssen, dass es für sie beide das Beste war, wenn sie sich ein bisschen mehr zurückhielten. Das würde ihm nicht gefallen, natürlich nicht; er gehörte leider zu den Menschen mit Prinzipien und sah die Dinge häufig viel zu eng. Aber er würde es schon einsehen, da war sie sich ganz sicher.
    Als sie im Vorratsraum ihren Mantel vom Haken nahm, fühlte sich Dolly schon wieder viel besser, aber dann stand Mrs. Waddingham plötzlich da und sah sie mit ihrem Teiggesicht vorwurfsvoll an. »Machen wir heute früher Feierabend, Dorothy?« Ehe Dolly etwas darauf erwidern konnte, schnüffelte Mrs. Waddingham argwöhnisch und fragte: »Ist das etwa Zigarettenqualm, was ich da rieche?«
    Jimmy langte unauffällig in seine Hosentasche. Sie war noch da, die mit schwarzem Samt bezogene Schachtel, genauso wie die letzten zwanzig Mal, als er nachgefühlt hatte. Die ganze Sache brachte ihn langsam um den Verstand, deswegen wurde es Zeit, Dolly den Ring an den Finger zu stecken, je eher, desto besser. Er war die Situation unzählige Male in Gedanken durchgegangen, und trotzdem war er fürchterlich nervös. Das Problem war, dass er auf den idealen Moment wartete. Dabei glaubte er eigent lich nicht, dass es jemals so etwas wie ideale Umstände gab, zumindest nicht im wirklichen Leben; nicht nach allem, was er erlebt hatte, in einer Welt, die in Trümmer ging, einer Welt voller Tod und Trauer. Aber Dolly glaubte an derartige Idealzustände, und deswegen würde er sein Bestes tun.
    Er hatte versucht, einen Tisch in einem der vornehmen Restaurants zu reservieren, von denen sie neuerdings schwärmte, im Ritz oder im Claridge’s, aber die waren komplett ausgebucht, und all seiner

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