Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
Vom Netzwerk:
konnten bis heute nicht geborgen werden«, sagte er. »Und soweit ich weiß, werden diese armen Frauen im Yankee-Stadion immer nur für ein paar Tage aufgebahrt und dann durch andere ersetzt.«
    »Wenn man also hingeht und die gesuchte Person nicht findet, muss das nicht automatisch bedeuten, dass sie noch am Leben ist?«, fragte Alex.
    »Leider nicht«, sagte Pater Franco.
    »Und diejenigen, die nicht identifiziert wurden?«, fragte Alex. »Werden die trotzdem irgendwann beerdigt?«
    Pater Franco machte ein verlegenes Gesicht. »Die müssen verbrannt werden«, sagte er.
    »Ich dachte, die Kirche lehnt Einäscherungen ab«, sagte Alex.
    »Es handelt sich hier um besondere Umstände«, sagte Pater Franco. »Gott wird das sicher verstehen und verzeihen.«
    Alex nickte und versuchte, das Bild aus seinem Kopf zu verbannen, wie die Leiche seiner Mutter in einem Krematorium mit Dutzenden anderen Leichen auf einen Haufen geworfen wurde. »Danke, Pater«, sagte er und stand auf.
    »Ich bete für dich«, sagte Pater Franco. »Für dich und deine ganze Familie.«
    Wie viele Menschen schloss er wohl täglich in sein Gebet mit ein?, fragte sich Alex auf dem Weg nach draußen. Ob er jemals die Zeit fand, für sich selbst zu beten?
    Samstag, 28 . Mai
    »Hier sieht’s ja aus wie auf einem Schlachtfeld«, rief Alex ärgerlich, als er sich im Wohnzimmer umsah. »Könnt ihr nicht auch mal was wegräumen? Und wieso sitzt ihr mitten am Tag vor der Glotze? Habt ihr keine Hausaufgaben auf?«
    Julie und Bri saßen auf dem Sofa und schauten sich eine Wiederholung von I Love Lucy an. Julie gähnte.
    »Tut mir leid …«, setzte Bri an, aber Julie boxte sie in die Seite.
    Alex ging zum Fernseher und stellte ihn ab. Julie schaltete ihn mit der Fernbedienung wieder ein.
    Mit zwei Schritten war Alex bei ihr und riss ihr die Fernbedienung aus der Hand. »Steh auf!«, brüllte er. »Sofort! Und dann räumst du deinen Dreck hier weg.«
    »Ich mach gar nichts, bevor du mir nicht sagst, wo Mamá und Papá sind«, gab Julie zurück. »Und Bri auch nicht. Stimmt’s, Bri?« Das klang eher nach einer Drohung als nach einer Frage.
    Bri machte ein gequältes Gesicht, nickte aber.
    »Was soll das werden, eine Meuterei?«, fragte Alex. »Habt ihr euch jetzt verbündet? Aber daraus wird nichts. Jetzt ist Schluss mit Fernsehen und Rumgejammer.«
    »Wer hat dich hier eigentlich zum Chef gemacht, unsere toten Eltern vielleicht?«, fragte Julie.
    Ohne nachzudenken, holte Alex aus und schlug ihr fest ins Gesicht. Julie schrie auf vor Schmerz und rannte hinaus, dicht gefolgt von Bri. Sie stürmten in ihr Zimmer und knallten die Tür hinter sich zu.
    » Idiota «, murmelte Alex. Er hasste es, wenn Papá einen von ihnen schlug, und hatte sich geschworen, das bei seinen eigenen Kindern niemals zu tun, aber ausgerechnet jetzt, wo seine Schwestern ihn am meisten brauchten, benahm er sich wie der schlimmste Despot.
    Er ließ seinen Schwestern ein paar Minuten Zeit zum Heulen und Jammern oder was auch immer und klopfte dann an ihre Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, trat er ein.
    Julie saß oben auf dem Etagenbett, die Wange immer noch gerötet. Bri stand daneben.
    Alex versuchte sich vorzustellen, wie Papá sich entschuldigte, aber es gelang ihm nicht. Vielleicht bei Mamá, aber niemals bei einem der Kinder.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte dich nicht schlagen sollen.«
    Julie wandte das Gesicht ab.
    »Wo sind sie?«, fragte Bri. »Warum haben wir nichts von ihnen gehört?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Alex. »Ehrenwort.«
    »Hast du denn überhaupt versucht, sie zu finden?«, fragte Julie barsch.
    »Ja, hab ich«, sagte Alex und fröstelte bei der Erinnerung an die endlosen Reihen von Leichen im Yankee-Stadion. »Aber sie sind einfach verschwunden. Das muss ja nicht heißen, dass sie tot sind. Aber ich glaube, wir sollten uns darauf einstellen, dass sie vielleicht nie mehr zurückkommen.«
    »Nein!«, schrie Bri. »Das glaube ich nicht. Das kann nicht sein. Ich habe mit Papá gesprochen. Er war am Leben. Er hat Puerto Rico gesagt. Ich hab’s gehört!« Sie fing an zu weinen.
    »Nun hör doch mal, Bri«, sagte Alex und fühlte sich schrecklich hilflos und allein. »Selbst wenn es wirklich Papá war, mit dem du gesprochen hast, dann sitzt er im Moment sowieso in Puerto Rico fest. Es gibt keine Flüge, und Telefon gibt’s dort auch nicht mehr. Ich hab es jeden Tag versucht, gleich als Erstes am Morgen und als Letztes am Abend, aber man kommt nicht

Weitere Kostenlose Bücher